Foreign Subsidies Regulation (FSR) und die öffentliche Vergabepraxis
Die Verordnung (EU) 2022/2560 über drittstaatliche Subventionen, auch als Foreign Subsidies Rengulatio bekannt, stellt seit nunmehr über zwei Jahren ein bedeutendes Instrument der EU-Kommission zur Überwachung und Kontrolle von drittstaatlichen Subventionen dar, die an Unternehmen innerhalb der Union gewährt werden.
Ziel der Verordnung ist zu verhindern, dass Unternehmen, die von drittstaatlichen Subventionen profitieren, ungerechtfertigte Vorteile bei der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen erlangen und somit den Wettbewerb verzerren.
Erst kürzlich hat die EU-Kommission eine eingehende Untersuchung („in-depth investigation“) eingeleitet, um eine mögliche Wettbewerbsverzerrung durch drittstaatliche Subventionen im Zusammenhang mit einer Ausschreibung zur Beschaffung von Stadtbahnfahrzeugen in Portugal zu untersuchen. Sie prüft, ob drittstaatliche Zuwendungen dem chinesischen Schienenfahrzeughersteller CRRC Tangshan Rolling Stock Unipessoal einen unfairen Vorteil im Ausschreibungsverfahren für die Planung, den Bau und die Instandhaltung einer neuen Stadtbahnlinie in Lissabon verschafft haben.
Als drittstaatliche Zuwendungen, die ein öffentliches Vergabeverfahren verzerren oder zu verzerren drohen, sind nach Art. 27 FSR drittstaatliche Subventionen zu verstehen, die einen Wirtschaftsteilnehmer in die Lage versetzen, ein in Bezug auf die betreffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen ungerechtfertigt günstiges Angebot einzureichen.
Wann sind die Regelungen der FSR bei öffentlichen Ausschreibungen zu berücksichtigen?
Eine meldepflichtige drittstaatliche finanzielle Zuwendung im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens liegt gem. Art. 28 Abs. 1 FSR vor, wenn
- der geschätzte Nettowert des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung oder einer einzelnen Auftragsvergabe über das dynamische Beschaffungssystem mindestens 250 Mio. EUR beträgt und
- dem Wirtschaftsteilnehmer, einschließlich seiner wirtschaftlich unselbständigen Tochtergesellschaften, seiner Beteiligungsgesellschaften und gegebenenfalls seiner Hauptunterauftragnehmer und Hauptlieferanten, die an demselben Angebot im Rahmen des öffentlichen Vergabeverfahrens beteiligt sind, in den drei Jahren vor der Meldung oder gegebenenfalls der aktualisierten Meldung finanzielle Zuwendungen von insgesamt mindestens 4 Mio. EUR pro Drittstaat gewährt wurden.
Ist ein Auftrag in Lose unterteilt, so liegt eine meldepflichtige drittstaatliche finanzielle Zuwendung im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens vor, wenn der geschätzte Nettowert des Auftrags mindestens 250 Mio. EUR beträgt und der Wert des Loses oder der Gesamtwert aller Lose, um die sich der Bieter bewirbt, mindestens 125 Mio. EUR beträgt und die drittstaatliche finanzielle Zuwendung mindestens 4 Mio. EUR pro Drittstaat entspricht.
Sind die Regelungen der FSR bei öffentlichen Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte des Art. 28 Abs. 1 FSR damit zu vernachlässigen?
Unterhalb der dargestellten Schwellenwerte findet die FSR in öffentlichen Vergabeverfahren grundsätzlich keine Anwendung. Allerdings sieht die FSR zwei Instrumente vor, die es der EU-Kommission – unabhängig vom Überschreiten der in Art. 28 Abs. 1 FSR vorgegebenen Schwellenwerte – ermöglichen, eine öffentliche Ausschreibung am Maßstab der FSR zu prüfen. Beide Instrumente kommen dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten eines Vergabeverfahrens zum Einsatz:
- Vor Abschluss des Vergabeverfahrens kann die EU-Kommission gem. Art. 29 Abs. 8 FSR bei Verdacht, dass der jeweilige Beteiligte eventuell in den letzten drei Jahren vor der Einreichung des Angebots von drittstaatlichen Subventionen profitiert hat, die jeweiligen drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen für meldepflichtig im Sinne des Art. 29 Abs. 1 S. 1 FSR erklären. Daraus erwächst dann eine Prüfungsmöglichkeit der Kommission im Rahmen der Art. 30 ff. FSR, die mit der bei „normalen“ Meldungen identisch ist.
- Nach Abschluss des Vergabeverfahrens kann die EU-Kommission gem. Art. 9 Abs. 2 S. 1 FSR von Amts wegen (ex-officio) eine Prüfung des öffentlichen Vergabeverfahrens einleiten. Nach Satz 2 darf dieses Verfahren allerdings nicht zur Aufhebung der Zuschlagsentscheidung oder zur Beendigung des Auftrags führen. Die Kommission kann jedoch Abhilfemaßnahmen (siehe den Katalog in Art. 7 Abs. 4 FSR) beschließen.
Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die EU-Kommission von ihren Rechten Gebrauch macht. Die FSR könnte damit auch in Vergabeverfahren unterhalb der FSR-Schwellenwerte eine relevante Bedeutung erlangen – sowohl auf Auftraggeber- als auch auf Bieterseite.
Was haben Auftraggeber und Bieter zu beachten?
Auftraggeber sollten sich vor Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung mit einem geschätzten Auftragswert von mindestens 250 Mio. EUR (netto) mit der Anwendung der Regelungen der FSR vertraut machen. Nach Art. 28 Abs. 6 S. 1 FSR haben öffentliche Auftraggeber bereits in der Auftragsbekanntmachung oder – im Fall eines Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung – in den Auftragsunterlagen anzugeben, dass die Wirtschaftsteilnehmer der Melde- bzw. Erklärungspflicht nach Art. 29 FSR unterliegen. Satz 2 stellt weiter klar, dass das Fehlen dieser Angabe die Anwendung der FSR auf Aufträge, die in ihren Anwendungsbereich fallen, unberührt lässt.
Praxistipps:
- Auftraggeber sollten bei Aufsetzung der Zeitschiene des Vergabeverfahrens ausreichend Zeit für die Prüfungsphasen der EU-Kommission einplanen. Die Terminplanung kann sich hierzu an den Fristen des Art. 30 Abs. 2 und 5 FSR orientieren. Während der Vorprüfung und der eingehenden Prüfung können alle Verfahrensschritte im Rahmen des öffentlichen Vergabeverfahrens mit Ausnahme der Zuschlagserteilung fortgesetzt werden.
- Gem. Art. 29 Abs. 2 FSR leitet der Auftraggeber, sobald die Meldung oder die Erklärung eingereicht wurde, diese unverzüglich an die EU-Kommission weiter. Es empfiehlt sich daher, dass sich Auftraggeber bereits in der Vorbereitung auf das Vergabeverfahren mit der Übermittlungsschnittstelle für diese Daten an die EU-Kommission vertraut machen.
Bieter, die an großvolumigen Vergabeverfahren teilnehmen möchten, sollten unternehmensintern frühzeitig Informationen für die Meldung bzw. Erklärung nach Art. 29 FSR relevante Informationen sammeln und aufbereiten. Anknüpfend an Art. 28 Abs. 1 b) FSR betrifft dies alle etwaigen drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen der letzten drei Jahre.
Praxistipps:
- Die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1441 zur FSR legt Regelungen zu Form sowie Inhalt von Meldungen und Erklärungen von drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen fest und enthält in Anhang II das für die Meldung öffentlicher Zuwendungen bei öffentlichen Auftragsvergaben relevante Formular FS-PP. Die Meldung bzw. Erklärung ist beim Auftraggeber einzureichen.
Bei einem offenen Verfahren ist die Meldung oder die Erklärung nur einmal gemeinsam mit dem Angebot einzureichen. Bei einem Verfahren mit mehreren Phasen ist die Meldung oder die Erklärung zweimal einzureichen, zunächst zusammen mit dem Teilnahmeantrag und danach als aktualisierte Meldung oder aktualisierte Erklärung zusammen mit dem eingereichten Angebot oder dem endgültigen Angebot. In letzterem Fall sollten Bieter daher zu jeder Phase des Vergabeverfahrens die Aktualität der Meldung oder der Erklärung überprüfen.
Wie wendet die EU-Kommission die FSR an?
Das einleitend aufgegriffene Verfahren der EU-Kommission in Portugal zeigt, dass die Regelungen der FSR – neben dem Bereich der Kontrolle drittstaatlicher Subventionen bei Fusionen und Übernahmen – auch in öffentlichen Vergabeverfahren durchgesetzt werden. Sowohl auf Seiten der Auftraggeber als auch der Bieter besteht daher ein praktisches Bedürfnis, die Entscheidungspraxis der EU-Kommission bei der Anwendung der FSR möglichst sicher antizipieren zu können.
Bereits am 18. Juli 2025 hatte die EU-Kommission einen Leitlinien‑Entwurf zur Umsetzung der FSR veröffentlicht. Dieser Entwurf dient der ersten Konkretisierung zentraler Bewertungskriterien der FSR, insbesondere auch im Kontext öffentlicher Vergabeverfahren und soll die Entscheidungspraxis transparenter und vorhersehbarer gestalten.
Die 4 zentralen Fragstellungen des Leitlinien-Entwurfs
Bei öffentlichen Vergabeverfahren konzentriert sich die EU-Kommission bei der Beurteilung einer Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt insbesondere auf vier zentrale Punkte:
1. Kriterien für die Feststellung einer „Verzerrung“ nach Art. 27 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 FSR: Welche Indikatoren nutzt die EU-Kommission zur Bewertung, ob eine drittstaatliche Subvention den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt verzerrt?
2. Bewertung im Vergabeverfahren nach Art. 27 FSR: Wann ist ein Angebot „ungerechtfertigt günstig“, und wie wird der Zusammenhang mit der Subvention nachgewiesen?
3. Balance‑Test nach Art. 6 FSR: Können positive Effekte der Subvention (z. B. Beschäftigung, Innovation) negative Marktverzerrungen kompensieren? Wie nimmt die EU-Kommission die Abwägungsprüfung vor?
4. „Ad-hoc“-Notifizierung nach Art. 29 Abs. 8 FSR: Unter welchen Bedingungen kann die EU-Kommission eine finanzielle Zuwendung für meldepflichtig erklären?
Ausblick
Die FSR (Art. 52) fordert die EU-Kommission auf, ihre Praxis bei der Umsetzung und Durchsetzung der Verordnung bis Juli 2026 und danach alle drei Jahre zu überprüfen und dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht vorzulegen, dem gegebenenfalls Gesetzesänderungsvorschläge beigefügt werden.
Insgesamt ist es begrüßenswert, dass die EU-Kommission mit ihrem Leitlinien‑Entwurf erste Klarstellungen zur FSR vornimmt, um Rechtssicherheit in der Anwendung der FSR zu schaffen – besonders auch im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Ausführungen zu den vier zentralen Fragestellungen derzeit noch recht allgemein sind und daher noch keine rechtssichere Prognose für eine Entscheidungspraxis der EU-Kommission zulassen. Die öffentliche Konsultation zum Leitlinien-Entwurf ist bereits abgeschlossen. Die finalen Leitlinien sind im Januar 2026 zu erwarten.
Wir halten Sie hierzu weiter auf dem Laufenden.
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