Läuft der Erstattungsanspruch bei Corona-Quarantäne leer? Probleme mit § 56 IfSG und § 616 BGB
Trotz des seit dem 02. November 2020 geltenden sogenannten „Lockdown Light“ verbleibt es in ganz Deutschland rund um das Corona-Virus bei einem gleichbleibend hohen Infektionsniveau. Immer mehr Menschen befinden sich in behördlich angeordneter häuslicher Quarantäne, weil sie entweder selbst infiziert sind oder als „Kontaktperson I. Grades“ gelten. Für Arbeitgeber*innen stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen sie während der Quarantäne gezahltes Entgelt von der Behörde zurückfordern können. In diesem Beitrag beleuchten wir die Stolpersteine auf dem Weg zur Erstattung und wie Sie diesen begegnen können.
Die Erstattungsansprüche des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)
Das Infektionsschutzgesetz regelt in § 56 unter welchen Voraussetzungen eine Entschädigung für Verdienstausfälle aufgrund behördlicher Maßnahmen zu zahlen ist. Steht der Entschädigungsanspruch Arbeitnehmer*innen zu, bürdet das Gesetz den Arbeitgeber*innen eine Vorleistungspflicht auf. Diese sind nämlich gesetzlich verpflichtet, die Entschädigung für die zuständige Behörde für die Dauer von längstens sechs Wochen bei Anordnung einer behördlichen Quarantäne vorzustrecken. Auf Antrag erstattet die Behörde allerdings die gezahlten Beträge, wenn die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs vorliegen. Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhält eine Entschädigung, wer aufgrund des IfSG als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern (im alltäglichen Sprachgebrauch als „Kontaktpersonen“ oder „Verdachtspersonen“ bezeichnet) im Sinne von § 31 S. 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Voraussetzung des Verdienstausfalls den Knackpunkt darstellt, an dem viele Ansprüche auf Erstattung scheitern.
Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 56 Abs. 1 IfSG und § 616 S. 1 BGB
Vermehrt ist nämlich festzustellen, dass die zuständigen Behörden eine Erstattung der Lohnzahlungen ablehnen und das wirtschaftliche Risiko der Vergütungszahlung letztlich doch auf die Arbeitgeber*innen abwälzen. Der von § 56 Abs. 1 IfSG vorausgesetzte Verdienstausfall liegt nämlich nur vor, wenn ein Unternehmen während der behördlichen Quarantäne nicht anderweitig zur Entgelt(fort-)zahlung verpflichtet sind. Derartige Pflichten können sich u.a. aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) oder § 616 S. 1 BGB ergeben. Der infektionsschutzrechtliche Erstattungsanspruch ist im Verhältnis zu diesen Normen nachrangig, denn sobald ein anderweitiger Entgelt(fort-)zahlungsanspruch tatsächlich besteht, fehlt es am notwendigen Verdienstausfall. Bei arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer*innen, die von einer Quarantänemaßnahme betroffen sind, ist die Sachlage insofern eindeutig. Der in diesem Fall bestehende Entgeltfortzahlungsanspruch aus §§ 3, 4 EFZG verdrängt den infektionsschutzrechtlichen Anspruch, sodass Arbeitgeber*innen trotz der Quarantänemaßnahme keine Erstattung der Entgeltzahlung beantragen können. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung allerdings, soweit Arbeitnehmer*innen nicht arbeitsunfähig erkrankt sind, aber einer behördlichen Maßnahme unterliegen. In diesem Zusammenhang verweisen Behörden regelmäßig auf die oben genannte Vorschrift des § 616 BGB und verneinen damit den Erstattungsanspruch der Unternehmen.
Hier sollten Sie allerdings in jedem Einzelfall genau prüfen, ob Ihre Arbeitnehmer*innen einen Anspruch aus § 616 BGB überhaupt geltend machen können.
Entgeltfortzahlung nach § 616 S. 1 BGB
Nach der Vorschrift des § 616 S. 1 BGB wird der zur Dienstleistung Verpflichtete seines Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er (1) für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit (2) durch einen in seiner Person liegenden Grund (3) ohne sein Verschulden (4) an der Dienstleistung verhindert wird.
„in seiner Person liegender Grund“
§ 616 BGB erfasst nur subjektive Leistungshindernisse. Bei Anordnung von Quarantänemaßnahmen aufgrund des in der Person liegenden Infektionsverdachts ist dies in der Regel ohne Weiteres verwirklicht (so auch BGH, Urteil vom 30.11.1978 (Az.: III ZR 43/77) zur Vorgängerregelung des IfSG, dem BSeuchG). Der in der Person liegende Grund (Quarantäneanordnung aufgrund Infektionsverdachts) muss zudem die ausschließliche Ursache für den Arbeitsausfall sein. Arbeitgeber*innen sollten insofern genau prüfen, ob der Lohnanspruch ggf. auch ohne das persönliche Leistungshindernis entfallen wäre, beispielsweise aufgrund angeordneter Kurzarbeit oder einer Freistellung der Arbeitnehmer*innen. Besteht ein solcher anderweitiger Grund, besteht kein Anspruch nach § 616 S. 1 BGB, sodass ggf. der infektionsschutzrechtliche Erstattungsanspruch wieder auflebt.
„ohne sein Verschulden“
Die Vorschrift des § 616 S. 1 BGB ist ebenfalls ausgeschlossen, wenn Arbeitnehmer*innen die Leistungsverhinderung schuldhaft herbeigeführt haben, d.h. ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten besteht (BAG, Urteil vom 19.10.1983 – 5 AZR 195/81). Die Beweislast für ein solches Verschulden tragen indes die Arbeitgeber*innen, sodass hier eine frühe Beweissicherung anzuraten ist. Insbesondere sind solche Fallgestaltungen zu prüfen, in denen Arbeitnehmer*innen nach der Rückkehr aus einem Gebiet, für das eine Reisewarnung besteht, einer Quarantäneanordnung unterliegen.
„für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“
Entscheidend ist aber die Voraussetzung der verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit. Soweit nämlich die Verhinderung einen nicht mehr nur unerheblichen Zeitraum überschreitet, entfällt der Anspruch aus § 616 S. 1 BGB vollständig. Dies hat dann zur Folge, dass der infektionsschutzrechtliche Erstattungsanspruch für Arbeitgeber*innen aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG für den gesamten Zeitraum der Quarantänemaßnahme greift. Die alles entscheidende Frage lautet somit: Stellt eine 10-14 tätige Quarantäne eine verhältnismäßig unerhebliche Zeit dar und verpflichtet so Arbeitgeber*innen aus § 616 S. 1 BGB zur Lohnfortzahlung?
Diese Frage ist umstritten und bislang nicht abschließend geklärt. Wenig überraschend bejahen die zuständigen Behörden diese Frage und stützen sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1978 (BGH, Urteil vom 30.11.1978 – III ZR 43/77), in dem dieser feststellte, dass sogar ein Zeitraum von sechs Wochen bei einem länger andauernden unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis unerheblich sei. Demgegenüber hatte das Bundesarbeitsgericht bereits 1977 (BAG, Urteil v. 20.07.1977 – 5 AZR 325/76) entschieden, dass Arbeitgeber*innen im Allgemeinen nur zur Lohnfortzahlung für wenige Tage verpflichtet sind, sodass die übliche Quarantänedauer von 10-14 Tagen gerade keine unerhebliche, sondern eine erhebliche Zeit darstellt, mit der Folge, dass § 616 S. 1 BGB aktuell nicht anzuwenden wäre. Auch die heute herrschende Meinung im Schrifttum kommt zu dem Ergebnis, dass eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit nur die Dauer von wenigen Tagen umfasst und daher die derzeit übliche Quarantänedauer nicht mehr darunterfällt. Letztlich kann hierzu bis zu einer erneuten (höchstrichterlichen) Rechtsprechung allerdings keine rechtssichere Aussage getroffen werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die für Erstattungsfragen zuständigen Gerichte gerade nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Zivilgerichte sind und wir nicht wissen, ob die Tendenzen der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung dort auch Gehör finden werden.
Präventivmaßnahme: Abdingbarkeit des § 616 S. 1 BGB
Um die Diskussion um den Verdienstausfall nicht führen zu müssen, können Arbeitgeber*innen im Voraus tätig werden und den Lohnanspruch aus § 616 S. 1 BGB abbedingen. Insbesondere in tarifvertraglichen Regelungswerken ist dies nicht selten der Fall, so beispielsweise im TVöD. Doch auch arbeitsvertraglich kann die Vorschrift ausdrücklich oder konkludent abbedungen werden. Dabei ist arbeitgeberseitig vor allem darauf zu achten, dass eine derartige individualvertragliche Klausel einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegt. Zum Teil wird vertreten, dass ein völliger Ausschluss des § 616 BGB ohne sachlichen Grund Arbeitnehmer*innen unangemessen benachteiligt und deshalb unwirksam ist. Bei der Erstellung einer arbeitsvertraglichen Klausel ist also Augenmaß gefragt.
Fazit
Als Unternehmen sollten Sie den Erstattungsanspruch zeitnah und fristgerecht geltend machen. Die behördlichen Vordrucke enthalten vielfach die Frage, ob § 616 BGB arbeitsvertraglich oder aufgrund eines Tarifvertrags ausgeschlossen ist. Ist dies bei Ihnen nicht der Fall, sollten Sie bereits im Erstattungsantrag darauf hinweisen, dass die 10-14 tägige Quarantäne zu lang ist, um noch von § 616 S. 1 BGB gedeckt zu sein. Soweit Ihr Erstattungsanspruch endgültig abgelehnt wird, sollten Sie in jedem Fall über eine Klageerhebung nachdenken. Präventiv können Sie arbeitsvertraglich die Vorschrift des § 616 BGB abbedingen. Bei alledem gilt weiterhin zuvorderst, auf Ihre Arbeitnehmer*innen dahingehend einzuwirken, die Hygiene-Schutzvorschriften (AHA-AL) einzuhalten.
Sollten bereits zu Beginn der behördlichen Maßnahme Verdachtsmomente dahingehend bestehen, dass Ihre Arbeitnehmer*innen die Quarantäne selbstverschuldet herbeigeführt haben (z.B. durch eine Urlaubsreise in ein Risikogebiet), raten wir Ihnen, eine Vorleistung zunächst abzulehnen. Denn ein Verschulden Ihrer Arbeitnehmer*innen führt im Zweifel dazu, dass diese schon keinen Entschädigungsanspruch nach IfSG haben. Damit ist aber auch Ihr Erstattungsanspruch gegenüber der Behörde ausgeschlossen. In diesen Fällen können Sie rein vorsorglich bei der zuständigen Behörde eine Vorschussleistung zu beantragen (§ 56 Abs. 12 IfSG). Soweit die Behörde dies unter Verweis auf ein Verschulden Ihrer Arbeitnehmer*innen verweigert, können Sie natürlich erst recht deren Zahlungsansprüche ablehnen. Die Bewertung des persönlichen Verschuldens ist natürlich immer eine Frage des Einzelfalles.
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