Leistungsstörung aufgrund der Corona-Krise im internationalen Warenverkehr gemäß dem UN-Kaufrecht: Erleichterungen für den Verkäufer und Käufer
Aktuell stellt sich die Frage, wie sich die aktuelle Corona-Krise auf Lieferbeziehungen im internationalen Warenverkehr auswirkt. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, welches materielle Recht auf den jeweiligen Liefervertrag anwendbar ist. Sofern es sich um reine Inlandssachverhalte in Deutschland handelt, mithin also das BGB zur Anwendung gelangt, sei an dieser Stelle auf den Beitrag Pandemie und Vertragsstörungen: Muss der Lieferant liefern, muss der Kunde abnehmen? verwiesen.
I. Allgemeines
Dem UN-Kaufrecht (CISG) unterfallen gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG alle grenzüberschreitenden Kaufverträge über Waren, sofern beide Vertragsparteien ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten des Abkommens haben (eine aktuelle Liste der Vertragsstaaten ist unter https://uncitral.un.org/en/texts/salegoods/conventions/ sale_of_goods/cisg/status abrufbar).
Darüber hinaus findet das UN-Kaufrecht gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG Anwendung, wenn die Regeln des internationalen Privatrechts zu seiner Anwendung führen. Treffen die Vertragsparteien keine Rechtswahl, so findet gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO grundsätzlich das Recht des Landes Anwendung, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Wird das Recht eines Vertragsstaats von den Parteien ausdrücklich gewählt (Art. 3 Rom I-VO) oder führt Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO zur Anwendbarkeit des Rechts eines Vertragsstaats, so greift, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde, ebenfalls das UN-Kaufrecht ein. Sachlich gilt das UN-Kaufrecht für alle Warenkäufe, ausgenommen sind für persönlichen Gebrauch bestimmte Güter (Art. 2 lit. a CISG) sowie Dienstleistungen. Folglich käme das UN-Kaufrecht bei allen Importen, die zwischen zwei Unternehmern getätigt werden zur Anwendung, wenn der Verkäufer seine Niederlassung in einem Vertragsstaat des CISG hat. Gleiches gilt für alle Exporte aus Deutschland.
Zwar können die Parteien die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts im Sinne des Art. 6 CISG im Vertrag ausschließen. Ist dies aber nicht der Fall, so bestimmt sich das Recht des Vertrages (ergänzend) auch nach diesem Recht.
II. Rechte des Käufers
Erfüllt der Lieferant seine Pflicht aus dem Vertrag nicht, kann der Käufer gemäß Art. 45 Abs. 1 CISG die in Artt. 46 bis 52 CISG vorgesehenen Rechte ausüben und Schadensersatz nach den Artt. 74 bis 77 CISG verlangen. Zu diesen Rechten gehören insbesondere das Recht die Erfüllung zu verlangen (Art. 46 Abs. 1 CISG) und das Recht nach angemessener Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten (Art. 47 in Verbindung mit Art. 49 CISG). Die Geltendmachung von Schadensersatz ist neben den vorgenannten Rechtsbehelfen möglich, dies stellt Art. 45 Abs. 2 CISG ausdrücklich klar.
1) Erfüllung
Nach Art. 46 Abs. 1 hat der Käufer gegenüber seinem Lieferanten nach Art. 46 Abs. 1 CISG einen Anspruch auf Erfüllung des Vertrages, also auf Lieferung der vertraglich geschuldeten Ware. Diese kann der Käufer auch dann verlangen, wenn sich der Lieferant bereits im Verzug befindet. In diesem Fall bleibt der Verkäufer zur Erfüllung, also zur Lieferung der Ware verpflichtet.
2) Vertragsaufhebung nach Nachfristsetzung
Daneben hat der Käufer die Möglichkeit dem Lieferanten eine angemessene Frist zur Erfüllung seiner Pflicht setzen, Art. 47 Abs. 1 CISG. Eine solche Fristsetzung ist Voraussetzung für eine Vertragsaufhebung, für die anderen Rechte wie Erfüllung, Minderung und Schadensersatz, ist die Nachfristsetzung dagegen ohne Bedeutung. Das Erfordernis der Nachfristsetzung besteht nur, sofern sie nicht bereits im Vertrag geregelt ist oder die Parteien vertraglich auf sie verzichtet haben.
Jedoch kann nicht pauschal festgelegt werden, wie lang eine Frist zu bemessen ist, um angemessen zu sein. Wenn der Käufer ein Interesse an besonders schneller Lieferung hatte und dies für den Lieferanten erkennbar war, kann eine kurze Frist angemessen sein. Berücksichtigungsfähig sind unter anderem auch die Länge der ursprünglichen Lieferfrist, die Art der geschuldeten Ware (Massenprodukte oder aufwändige Einzelanfertigung), der Grund für die Leistungsstörung und die Folgen der Verzögerung. Auch die übliche Transportdauer der Ware muss berücksichtigt werden. Während des Laufs dieser Frist kann der Käufer keine anderen Rechtsbehelfe mit Ausnahme des Verzugsschadens geltend machen. Nach herrschender Meinung setzt die zu kurze Frist eine angemessene Frist in Gang.
Eine bestimmte Form ist für die Nachfristsetzung nicht vorgesehen. Jedoch sollte die Setzung des Nachfrist im Zweifel beweisbar sein.
Erst nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist kann der Käufer den Kaufvertrag mit dem Lieferanten gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG aufheben.
3) Schadensersatz
Als Schadensersatz sind grundsätzlich alle Schäden ersatzfähig, die dem Käufer durch die Nichterfüllung oder verzögerte Erfüllung entstehen. Dies umfasst auch den entgangenen Gewinn. Jedoch darf der Schadensersatz nach Art. 74 S. 2 CISG nicht den Betrag überschreiten, den der Lieferant bei Vertragsschluss als mögliche Folge der Nichterfüllung vorausgesehen hat oder unter Berücksichtigung der Umstände, die er kannte oder kennen musste, hätte voraussehen müssen (sog. „Contemplation Rule“). Die Vorhersehbarkeit bezieht sich dabei auf Schadenseintritt und -umfang, nicht jedoch auf die Vertragsverletzung in Form der verzögerten Lieferung bzw. der Nichtlieferung selbst.
4) Entlastungsmöglichkeit des Lieferanten
a) Allgemeines
Neben der „Contemplation Rule“ des Art. 74 S. 2 CISG enthält Art. 79 CISG eine weitere Erleichterung für den Verkäufer. Nach Art. 79 Abs. 1 CISG muss der Lieferant für die Nichterfüllung nicht einstehen, wenn er beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb seines Einflussbereichs liegenden Hintergrund beruht und dass von ihm vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Hiervon sind nach herrschender Meinung insbesondere Epidemien erfasst. Denkbar ist eine Entlastung grundsätzlich auch bei nach Vertragsschluss ergangenen staatlichen Maßnahmen, wie z.B. Aus- oder Einfuhrbeschränkungen. Der unvorhersehbare und unvermeidbare Hinderungsgrund muss grundsätzlich die ausschließliche Ursache der Nichtleistung gewesen sein. Die aktuelle Corona-Pandemie ist daher als Hinderungsgrund im Sinne des Art. 79 Abs. 1 CISG einzustufen.
b) Entlastung für Dritte
Grundsätzlich hat der Lieferant auch nach dem UN-Kaufrecht für seine Zulieferer und deren Lieferfähigkeit einzustehen. Eine Entlastung nach Art. 79 Abs. 1 CISG kommt jedoch in Betracht, wenn Zulieferbetriebe infolge der Corona-Pandemie nicht liefern können.
Gleiches gilt, wenn die Nichterfüllung auf einem Dritten beruht, dessen sich der Lieferant zur völligen oder teilweisen Vertragserfüllung bedient, Art. 79 Abs. 2 CISG. Diese Vorschrift erfasst allerdings nicht alle einschlägigen Fälle. Sie gilt vielmehr nur für selbstständige, nicht arbeitnehmerähnlich in den Betrieb des Lieferanten integrierte Erfüllungsübernehmer, denen der Lieferant die eigenverantwortliche Wahrnehmung einzelner oder aller Vertragspflichten übertragen hat. Nicht unter Art. 79 Abs. 2 CISG, sondern unter Art. 79 Abs. 1 CISG fallen deshalb die eigenen Beschäftigten des Lieferanten. Hauptanwendungsfall des Art. 79 Abs. 2 CISG sind deshalb die selbstständigen Subunternehmer, die für den Lieferanten an den Käufer Teile der geschuldeten Leistung erbringen (z.B. eine vom Lieferanten geschuldete Installation oder einen vom Lieferanten geschuldeten Transport). Dritte, die zwar im Rahmen der Durchführung des Vertrages tätig werden, aber nicht innerhalb der vom Lieferanten geschuldeten Vertragspflichten (z.B. der Transporteur beim Versendungskauf), fallen nicht unter Abs. 2, weil sich der Lieferant ihrer nicht zur Vertragserfüllung bedient.
c) Dauer der Entlastung
Die vorgenannte Befreiung gilt jeweils für die Zeit, während der der Hinderungsgrund besteht, Art. 79 Abs. 3 CISG.
d) Mitteilungspflicht
Wichtig ist, dass der Lieferant den Käufer gemäß Art. 79 Abs. 4 CISG innerhalb einer angemessenen Frist über den Hinderungsgrund und seine Auswirkungen auf die Erfüllung des Vertrages informiert. Die Mitteilung soll der anderen Partei die Möglichkeit eröffnen, selbst Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Sie muss deshalb inhaltlich so präzise sein, dass sich die andere Partei ein Urteil über Art, Umfang, Schwere und voraussichtliche Dauer des Hindernisses bilden kann. In der momentanen Corona-Krise dürfte es ausreichend sein, die Umstände zu schildern und auf die nicht absehbare Dauer der Corona-Pandemie zu verweisen. Die Mitteilung ist grundsätzlich formfrei möglich. Allerdings sollte der Lieferant eine Form wählen, bei der er den Zugang nachweisen kann. Unterlässt der Lieferant die Anzeige, so verliert zwar nicht sein Recht, sich auf die Befreiung zu berufen, ist aber unter Umständen schadensersatzpflichtig (Art. 79 Abs. 4 S. 2 CISG): Erhält die andere Partei die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem der Lieferant den Hinderungsgrund kannte oder kennen musste, so haftet der Lieferant auf Ersatz des aus dem Nichterhalt entstehenden Schadens. Kannte der Käufer den Hinderungsgrund ohnehin, so scheidet eine Schadensersatzpflicht des Lieferanten jedoch aus. So dürfte es sich in der aktuellen Situation mit der Ausbreitung des Corona-Virus verhalten. Jedoch empfiehlt es sich dennoch eine entsprechende Mitteilung zu versenden.
5) Verursachung der Nichterfüllung durch den Käufer
Schließlich kann sich der Käufer gemäß Art. 80 CISG immer dann nicht auf die Nichterfüllung durch den Lieferanten berufen, wenn die Nichterfüllung durch eine Handlung oder Unterlassung des Käufers mitverursacht wurde.
III. Rechte des Lieferanten
Zunächst ist der Käufer gemäß Art. 53 CISG verpflichtet, die Ware abzunehmen und den Kaufpreis zu zahlen.
Kommt der Käufer diesen Pflichten nicht nach, so kann der Lieferant gemäß Art. 61 Abs. 1 lit. a CISG die in Artt. 62 bis 65 CISG vorgesehenen Rechte geltend machen und gemäß Art. 61 Abs. 1 lit. b CISG nach Artt. 74 bis 77 CISG Schadensersatz verlangen.
1) Erfüllung
Nach Art. 62 kann der Lieferant vom Käufer verlangen, dass er den vertraglich geschuldeten Kaufpreis zahlt und die Ware abnimmt.
2) Vertragsaufhebung nach Nachfristsetzung
Kommt der Käufer seinen primären Vertragspflichten nicht nach, so kann der Lieferant ihn unter Fristsetzung dazu auffordern, Art. 63 Abs. 1 CISG. Zu den primären Vertragspflichten des Käufers können neben der Kaufpreiszahlungs- und der der Abnahmepflicht auch weitere Handlungen zählen, die vernünftigerweise von ihm erwartet werden können, damit dem Lieferanten die Lieferung ermöglicht wird. Häufig werden sich derartige Kooperationspflichten bereits aus der Parteivereinbarung über die Liefermodalitäten ergeben, etwa bei Geltung der Incoterms.
Art. 63 Abs. 1 CISG setzt voraus, dass die Frist angemessen ist. Dies ist jeweils für den konkreten Einzelfall zu bestimmen. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, welchen Aufwand die Erfüllung der betreffenden Käuferpflicht erfordert, wie lang die ursprünglich vorgesehene Frist war, aus welchen Gründen der Käufer die Pflicht nicht erfüllt hat oder wie lang die Übermittlungszeiten sind. Nach herrschender Meinung setzt die zu kurze Frist eine angemessene Frist in Gang.
Eine bestimmte Form ist für die Nachfristsetzung nicht erforderlich, jedoch solle der Lieferant die Nachfristsetzung im Zweifel beweisen können.
Kommt der Käufer der Pflicht zur Kaufpreiszahlung oder zur Abnahme der Kaufsache innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so kann der Lieferant nach Art. 64 Abs. 1 lit. b CISG den Kaufvertrag aufheben.
3) Schadensersatz
Darüber hinaus kann der Lieferant nach den Artt. 74 bis 77 CISG Schadensersatz geltend machen. Als Schadensersatz sind grundsätzlich alle Schäden ersatzfähig, die dem Lieferanten durch die Nichterfüllung oder verzögerte Erfüllung entstehen. Dies umfasst auch den entgangenen Gewinn. Jedoch ist der Schadensersatz nach Art. 74 S. 2 CISG auf den bei Vertragsschluss vorhersehbaren Schaden beschränkt (vgl. dazu bereits oben II. 3)).
4) Entlastungsmöglichkeit des Käufers
Wie auch der Lieferant (vgl. dazu oben II. 4)) hat auch der Käufer die Möglichkeit, sich über die Regelung des Art. 79 CISG zu entlasten. Eine solche Entlastung dürfte jedoch nur hinsichtlich der Abnahmepflicht und den weiteren Mitwirkungspflichten des Käufers gelten und nicht für die Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises, bei der der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ gilt.
Nach Art. 79 Abs. 1 CISG muss der Käufer für die unterbliebene Abnahme nicht einstehen, wenn er beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb seines Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihm vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. In der aktuellen Corona-Krise könnte es dem Käufer z.B. vorübergehend unmöglich sein die Ware – aufgrund von Grenzschließungen oder Einstellung von Flügen – abzuholen, sofern er vertraglich dazu verpflichtet ist. Ebenso können unter Umständen andere Mitwirkungshandlungen des Käufers vorrübergehend – etwa aufgrund von Betriebsschließungen – unmöglich sein.
Auf hier gilt jedoch Art. 79 Abs. 3 CISG, wonach die Befreiung des Käufers nur für die Zeit gilt, während der das jeweilige Hindernis vorliegt.
Schließlich muss der Käufer den Verkäufer gemäß Art. 79 Abs. 4 CISG innerhalb einer angemessenen Frist über den Hinderungsgrund und seine Auswirkungen auf die Erfüllung des Vertrages informieren (siehe oben II. 4. d)).
IV. Fazit
In der aktuellen Corona-Krise zeigt sich, dass das UN-Kaufrecht, das in vielen Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen formularmäßig ausgeschlossen wird, zum Teil besser ist als sein Ruf. Denn bei Anwendbarkeit des UN-Kaufrecht, stehen die Chancen gut, dass sich die jeweils betroffene Vertragspartei erfolgreich auf höhere Gewalt berufen kann. Dazu muss sie beweisen können, dass die Lieferung infolge der Corona-Pandemie unterblieben ist oder sich verzögert. Art. 79 CISG regelt aber lediglich das fehlende Verschulden eines Vertragspartners für die Zeit, während der der Hinderungsgrund besteht. Nach dem Ende der Corona-Pandemie ist der Schuldner wieder zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung verpflichtet.
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