Pandemie und Vertragsstörungen: Muss der Lieferant liefern, muss der Kunde abnehmen?

Externe oder interne Einflüsse führen zu Vertragsstörungen

In Zeiten wie der aktuellen Pandemie kann es durch interne oder externe Einflüsse zu tatsächlichen Störungen der wirtschaftlichen Kreisläufe kommen. So kann sich der Lieferant nach eigenem Ermessen entscheiden, seine Produktion einzustellen, es kann ihm jedoch auch die Produktion untersagt werden. Ein weiterer externer Einfluss kann in Störungen der Supply Chain, mithin fehlender Zulieferung liegen. Auf Seiten des Käufers ist gegebenenfalls eine andere Disposition vorgenommen, z.B. sämtliche Investitionen gestoppt worden. Auf dieser Seite kann es auch zum Zusammenbruch des Absatzmarktes kommen, weshalb kein Interesse mehr am Bezug der bestellten Waren oder Dienstleistungen besteht.

Wer trägt welches Risko?

Kann der Lieferant auf diese Weise nicht vertragsgemäß liefern bzw. der Käufer nicht vertragsgemäß abnehmen stellt sich die Frage der Risikotragung:

  • Kommt eine Befreiung von der Leistungsverpflichtung in Betracht?
  • Bestehen Schadensersatzansprüche wegen Vertragspflichtverletzung?
  • Welches Schicksal erfährt die Gegenleistungspflicht?

Welche gesetzlichen Regelungen finden Anwendung?

Um diese Frage zu klären muss man zunächst kurz auf die gesetzliche Systematik des Vertragsrechts eingehen. Beim zweiseitigen Vertrag, wie zum Beispiel einem Kaufvertrag, stehen die beidseitigen Vertragspflichten in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Lieferant schuldet die Herstellung bzw. Beschaffung und die Übergabe zum Fall die Übereignung. Der Käufer wiederum schuldet die Abnahme und die Bezahlung. Die gleiche Systematik ist beispielsweise bei Werklieferungsverträgen, Werkverträgen oder Dienstleistungsverträgen anzuwenden.

Sollte der Vertragstext zu diesen Sondersituationen keine Angaben enthalten, so stellt sich die Frage, wie das Gesetz, mithin das Bürgerliche Gesetzbuch damit umgeht.

Befreiung von der Leistungspflicht durch Unmöglichkeit?

Zunächst könnte hierauf das Institut der Unmöglichkeit Anwendung finden. Für den Fall, dass die Leistung durch den Lieferanten unmöglich ist, ordnet § 274 BGB an, dass die Verpflichtung des Lieferanten auf Lieferung entfällt. Gleichzeitig entfällt aber auch sein Anspruch auf Gegenleistung, § 326 BGB. Jetzt erscheint es zunächst offensichtlich, dass in den eingangs geschilderten Fällen von tatsächlicher Störung ein Fall von Unmöglichkeit vorliegen müsste.

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen?

Da das BGB aber keine Einzelfallregelungen trifft und im Übrigen auch den Begriff der höheren Gewalt nicht kennt, müssen solche Störungen im Rahmen der Gesetzessystematik ausgelegt werden.

  • Bei Störungen dieser Art dürfte wohl ein tatsächliches Leistungshindernis vorliegen, wie dies beispielsweise bei Betriebseinstellungsanordnungen der Fall wäre.
  • Daneben kann Unmöglichkeit vorliegen, wenn die Erfüllung der Leistungspflicht einen grob unverhältnismäßigen Aufwand Dieses Kriterium ist hier regelmäßig der Wert der Sache im Verhältnis zu deren Beschaffung. Sollte beispielsweise ein Zulieferer aufgrund der Pandemie ausgefallen sein, so kann damit argumentiert werden, dass man das fehlende Teil zwar auch woanders beziehen könnte, dass dies aber nur mit grob unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist.

Problem: Schadensersatzpflicht

Liegt in diesem Sinne Unmöglichkeit vor, so würde der Lieferant wie oben geschildert von seiner Leistungspflicht frei. Allerdings knüpft das Gesetz eine weitere Rechtsfolge an das Vorliegen einer Unmöglichkeit: Der Lieferant macht sich gegenüber dem Käufer gegebenenfalls schadensersatzpflichtig.

  • Dies ist der Fall, wenn die Unmöglichkeit der Leistung durch einen von dem Lieferanten vorsätzlich oder fahrlässig zu vertretenem Umstand eingetreten ist, insbesondere wenn er von dem Leistungshindernis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits Kenntnis, jedenfalls aber fahrlässige Unkenntnis hatte.

Hinsichtlich von Schadensersatzansprüchen wird es daher entscheidend auf den Sachverhalt im Einzelnen ankommen. War mit der Unmöglichkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht zu rechnen und sind die Störungen in nicht absehbarer weise es später entstanden, dürften Schadensersatzansprüche seitens des Käufers nicht durchsetzbar sein.

Befreiung von der Leistungspflicht durch Störung/Wegfall der Geschäftsgrundlage

Eine weitere gesetzliche Regelung findet sich in § 313 BGB: Störung/Wegfall der Geschäftsgrundlage. Danach ist eine Anpassung des Vertrages möglich, wenn

  • sich Grundlagen des Vertrages nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und
  • die Parteien den Vertrag nicht oder nur mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten

An das Vorliegen dieses Tatbestandes werden insbesondere durch die Entwicklung der Rechtsprechung jedoch hohe Anforderungen gestellt. Die Risikobetrachtung muss ergeben, dass eine Risikoverwirklichung nicht nur bei einer Partei vorliegt, es muss die Unzumutbarkeitsgrenze überschritten sein. Diese beiden Kriterien liegen in der Regel nicht vor bei Geldentwertung oder Leistungserschwernis, da diese grundsätzlich der Schuldner seine Leistung trägt. Ausnahmsweise finden die Grundsätze der Geschäftsgrundlage aber auch im Fall von Leistungserschwerung Anwendung, wenn durch Umstände außerhalb des Einfluss- und Risikobereich des Schuldners ein so krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht, dass ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist. Sollten die Voraussetzungen der Störung bzw. des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorliegen, so führt dies jedoch im Zweifel nicht automatisch zur Vertragsbeendigung, sondern zu einer Vertragsanpassung.

Was kann vertraglich geregelt sein?

Die vorgenannten gesetzlichen Regelungen sind nicht zwingend, von Ihnen kann durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden. In Verträgen finden sich daher häufig Regelungen zu „höherer Gewalt“ oder auch „Force-Majeure“. Die Parteien vereinbaren für diesen Fall Kündigung- bzw. Rücktrittsrechte, damit sich die betroffene Partei entschädigungslos vom Vertrag lösen kann. Erfahrungsgemäß sind die Begrifflichkeiten dabei aber nicht eindeutig definiert.

Was ist höhere Gewalt

Da das Gesetz – wie bereits oben ausgeführt – den Begriff der höheren Gewalt nicht kennt, bedarf es dann einer Auslegung. Der Bundesgerichtshof hat die höhere Gewalt als

  • ein von außen kommendes,
  • keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes,
  • auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt
  • nicht abwendbares Ereignis definiert.

Zum Reiserecht ist entschieden, dass Epidemien zu höherer Gewalt zählen, da sie weder zum Betriebsrisiko des Reiseveranstalters, noch zum allgemeinen Lebensrisiko des Reisenden zählen. Sollte der Begriff der Epidemie oder Pandemie nicht ausdrücklich aufgeführt sein, so bedarf die Klausel der Auslegung. Idealerweise enthalten diese Klauseln aber einen Katalog von Beispielen.

Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen

Es könnte auch sein, dass die Parteien die Klauseln zu höherer Gewalt nicht im Vertrag selbst, sondern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufführen. Dies kann beispielsweise in Allgemeinen Lieferbedingungen oder in Allgemeinen Einkaufsbedingungen der Fall sein. Eine solche Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, also vorformulierten und wiederholt verwendeten Vertragsklauseln, ist grundsätzlich zulässig. Auch hier bedarf es allerdings einer Auslegung, wenn der Begriff der Epidemie der Pandemie nicht eindeutig erwähnt ist. Eine Auslegung findet schon deswegen statt, da allgemeine Geschäftsbedingungen einer Inhaltskontrolle im Hinblick auf treuwidrige Benachteiligung der anderen Vertragsseite unterliegen. Weitere Informationen hierzu finden Sie auch in unserem Blog-Beitrag Force-Majeure Klauseln in Zeiten des Coronavirus.

Versicherungsschutz möglich

Gegebenenfalls besteht auch Versicherungsschutz, z. B. im Rahmen einer Betriebsunterbrechungsversicherung.

Was gilt gegenüber Kleinstunternehmen und Verbrauchern?

Nach den am 27. März 2020 im Bundesrat beschlossenen Änderungen zum Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch steht Verbrauchern oder Kleinstunternehmen in Dauerschuldverhältnissen in Abänderung der vorgenannten gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn sie ihre vertraglichen Pflichten aufgrund der durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse nicht erfüllen können. Insbesondere sind Zahlungsansprüche gegenüber solchen Vertragspartnern bis zum 30. Juni 2020 im Rahmen eines Moratoriums von der Durchsetzung ausgeschlossen. Kleinstunternehmen sind Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu EUR 2 Mio. Verbraucher sind alle nicht unternehmerisch tätigen Vertragspartner

Ergebnis

In der aktuellen Situation empfiehlt es sich bei tatsächlichen Störungen, die zu Vertragsstörungen im vorgenannten Sinne führen können, zunächst die Vertragslage festzustellen. Sollte vertraglich nichts gesondert geregelt sein, so muss Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen genommen werden. Der Sachverhalt ist im Hinblick auf die Zeitabläufe, den Inhalt der Verhandlungen und das Vorliegen von internen oder externen Faktoren sowie die Kenntnis der Betroffenen Umstände genau zu untersuchen. In einer entsprechenden juristischen Würdigungen können dann Argumente gefunden werden, welche die Suche nach einer kaufmännischen Lösung und die Verhandlungen hierüber gut unterstützen können. In der aktuellen Situation ist es sinnvoll, nach einer genauen Analyse zunächst auf den Vertragspartner zu zugehen und eine Lösung auf dem Verhandlungswege herbeizuführen.  

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