Sprechverbot im Verhandlungsverfahren?

Anstoß dieses Beitrags ist eine beachtenswerte und sehr praxisrelevante Entscheidung der Vergabekammer des Bundes (VK Bund) vom 22. November 2019 (Az. VK 1-83/19), in der sich die Kammer offen gegen die bisherige Rechtsprechung der Vergabekammern Südbayern zur Frage, ob eine mündliche Präsentation bei Bietergesprächen im Verhandlungsverfahren als Zuschlagskriterium gewertet werden darf, stellt. Auch die VK Rheinland vertrat in der Vergangenheit eine andere Sichtweise.

Gegenstand des Verfahrens war die Vergabe von Projektsteuerungs- und Koordinationsleistungen im Rah-men einer Grundinstandsetzung einer Stiftungsbibliothek. Hierzu wurde auf das sog. Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zurückgegriffen. In diesem Verfah-ren reichen interessierte Unternehmen auf die EU-weit veröffentlichte Auftragsbekanntmachung zunächst Teilnahmeanträge und nach Aufforderung des Auftraggebers ihre Angebote ein. Dies erfolgt gem. § 53 Abs.1 VgV in Textform mithilfe elektronischer Mittel. Auf Basis der abgegebenen Angebote werden so-dann mit den Bietern Verhandlungen durchgeführt. Für die Kommunikation im Vergabeverfahren macht § 9 Abs. 2 VgV folgende Vorgabe:

„Die Kommunikation in einem Vergabeverfahren kann mündlich erfolgen, wenn sie nicht die Vergabeun-terlagen, die Teilnahmebeiträge, die Interessensbestätigungen oder die Angebote betrifft und wenn sie aus-reichend und in geeigneter Weise dokumentiert wird.“ 

Eine mündliche Kommunikation ist über Angebote demzufolge bei schlichter Lektüre dieser Vorschrift nicht zulässig. Dies war im vor der VK Bund behandelten Vergabeverfahren aber der Casus knacksus.

VK Bund mischt bisherige Rechtsprechung auf und lässt eine mündliche Kommunikation zu

Im Zuge der Verhandlung über das eingereichte Angebot ließ sich der Auftraggeber in dem der Entschei-dung der VK Bund zugrunde liegenden Fall die geforderten Leistungen mündlich präsentieren, ohne dass für den mündlich präsentierten Inhalt eine Grundlage im schriftlichen Angebot vorlag. Diese mündliche Präsentation floss schließlich entsprechend der Angaben in der Einladung, die auch eine Wertungsmatrix enthielt, in die Bewertung des Angebots ein.
Hiergegen wandte sich der unterlegene Bieter mit einem Nachprüfungsantrag. Er bemängelte, dass in die Bewertung des Angebots die mündliche Präsentation des Bieters eingeflossen ist. Dies sei mit dem Wortlaut § 9 Abs. 2 VgV unvereinbar.

Dieser Rechtsauffassung erteilt die VK Bund mit Beschluss vom 22. November 2019 – VK 1 – 83/19 durch Auslegung des § 9 Abs. 2 VgV eine Absage und stützt sich zu allererst auf den gesetzgeberischen Willen. Nach ihm bezieht sich die Vorschrift auf Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, wonach „die mündliche Kommunikation mit Bietern, die einen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt und die Bewertung des Angebots haben könnte, in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert werden“ müsse. Solange also entsprechend dokumentiert werde, könne eine mündlich gehaltene Präsentation in die Angebotswertung einfließen.

Ähnlich laute die deutsche Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 VgV: „Bei der Dokumentation der mündli-chen Kommunikation mit Bietern, die einen Einfluss auf Inhalt und Bewertung von deren Angebot haben könnte, ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert wird“ (BT-Drucks. 18/7318, S. 153). Solange also eine entsprechende Dokumentation der Kommunikation, die einen Einfluss auf den Inhalt und die Bewertung des Angebots hat, erfolge, dürfe auch gesprochen werden. Eine Dokumentation mache das Verfahren zudem transparenter und trüge der Chan-cengleichheit unter der Bietern Rechnung. Auch die gem. § 53 Abs.1 VgV vorgeschriebene Textform sei durch die Einreichung der Bewerbung und des Angebots über die Vergabeplattform gewährleistet.

Mit dieser Entscheidung stellt sich die VK Bund gegen die Rechtsauffassungen der VK Südbayern sowie der VK Rheinland und mischt die Kommunikationsregelungen im Verhandlungsverfahren auf. 
So hatte die VK Südbayern mit Beschluss vom 2. April 2019 (Az. Z3-3-3194-1-43-11/18) eine Bewertung einer rein mündlichen Präsentation ausgeschlossen. Die mündliche Präsentation hatte kein textliche Grund-lage im Angebot selbst. Angaben während der Präsentation sind aber Bestandteil des Angebots selbst und unterfallen damit dem Anwendungsbereich der § 9 Abs. 2 VgV. Dies gälte unabhängig von einer ausrei-chenden und geeigneten Dokumentation. Der Auftraggeber müsse während der Verhandlungsphase daher dafür Sorge tragen, dass Bieter die für die Bewertung wesentlichen Inhalte der Präsentation bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe grundsätzlich mindestens in Textform gem. § 53 Abs. 1 VgV i. V. m. § 126a BGB übermittelt haben. Eine mündliche Präsentation sei allenfalls ergänzend zu den entsprechenden Ausführungen im Angebot denkbar.

Sprachvergleichend argumentiert die VK Rheinland (Beschluss vom 19. November 2019 – VK 40/19) und bezieht sich auf den Erwägungsgrund 58 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe. Dieser liegt dem Art. 22 Abs. 2 der RL 2014/24/EU zugrunde. Um die Kommunikation im Verfahren zu regeln, verwendet der Richtliniengeber die Verben „sollten“ bzw. in der englischen Fassung „should“. Die Nutzung dieser Verben in den Erwägungsgründen sei aber ohne rechtlichen Einfluss. Der tatsächlich rechtsverbindliche Regelungsgehalt wird erst in den nachfolgenden Artikeln der Richtlinie festgelegt. Dort ergäbe sich, dass die Angebote in Textform eingereicht werden müssten.

Eine mündliche Kommunikation im Verhandlungsverfahren schließt die VK Rheinland dabei nicht gänzlich aus. Die Grenze der zulässigen mündlichen Kommunikation sei aber dann überschritten, wenn diese das Angebot beeinflusse. Es müsse daher immer ein Gleichschritt zwischen mündlichen und textlichen Angebot bestehen. Andernfalls bestünde das Risiko, dass im Rahmen der Präsentation Angaben gemacht würden, die zwar gewertet würden, an die sich der Bieter bei Auftragsdurchführung aber nicht mehr hält. Damit schwenkte die VK Rheinland auf die Linie der VK Südbayern ein.

Begrüßenswerter Schritt, aber Vorsicht in der Handhabung

Auch wenn sich die VK Bund gänzlich gegen den Wortlaut des § 9 Abs. 2 VgV richtet, verfolgt sie einen sehenswerten Ansatz. Damit trägt sie dem Umstand Rechnung, dass die Qualität eines Projektteams oftmals erst im Rahmen eines Präsentationstermins sachgerecht bewertet werden kann.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass in der Literatur der Ausschluss der mündlichen Kommunikation viel eher als ein Beitrag zur Chancengleichheit unter den Bietern gesehen wird. Zudem werde durch die Textform eine verbesserte Nachprüfbarkeit im Nachprüfungsverfahren gesichert. Doch diese Nachprüfbarkeit wird eben auch durch eine entsprechende Dokumentation einer Präsentation erreicht. Eine darüber hinausgehen-des Sprechverbot erscheint nicht erforderlich. Dies würde nur eine Überformalisierung des Verfahrens und die Einschränkung der Effizienz des (Verhandlungs-)Verfahrens bedeuten.

Auch wenn der pragmatische Ansatz der VK Bund begrüßenswert ist, bleibt abzuwarten, ob die oberge-richtliche Rechtsprechung deren Überlegungen bestätigt. Auch bleibt spannend, wie hoch die Hürden für eine ordnungsgemäße Dokumentation des Präsentationstermins gehängt werden. Hiervon wird die Durch-schlagskraft der Entscheidung der VK Bund maßgeblich abhängen, zumal die Vergabekammer die Begrün-dung in dem konkreten Einzelfall mit dem Argument beanstandete, dass nicht klar sei, ob sich die Bewer-tung rein auf die Präsentation oder nicht doch auf den Inhalt der Tischvorlage, die laut Verfahrensvorgaben nicht gewertet werden sollte, beruhte. Der Bieter hatte daher am Ende mit seinem Nachprüfungsantrag Er-folg. Auftraggeber sollten daher unbedingt Vorsicht bei der Wertungsentscheidung walten lassen. In diesem Zusammenhang wäre es erfreulich, wenn die Rechtsprechung auch die Gefahren einer Manipulation der Verfahrensdokumentation berücksichtigen würde. Bis dahin sollten sich Auftraggeber der anderweitigen Ansätze der Rechtsprechung bewusst sein und die Risiken einer Beanstandung durch unterlegene Bieter in ihrem Zeitplan vorsorglich berücksichtigen.

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