Vergaberecht für Start-ups – Verborgene Chancen und Praxistipps
Im Vergleich zu etablierten Unternehmen erhalten Start-ups deutlich weniger Aufträge von der öffentlichen Hand. Dieses liegt nicht nur an den Herausforderungen, vor denen junge und mit den vergaberechtlichen Abläufen wenig erfahrene Unternehmen stehen, wenn sie an Ausschreibungen teilnehmen wollen.
Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen einen Überblick über die Relevanz von Vergaberecht für Start-ups geben, konkrete Praxistipps liefern und bieten Ihnen mit „Pete“, unserem vergaberechtlichen Chatbot, auch eine erste Anlaufstelle zum Thema Vergaberecht für Start-ups.
I. Start-ups verpassen Aufträge der öffentlichen Hand
Nach jüngsten Schätzungen der OECD vergibt die öffentliche Hand in Deutschland jedes Jahr Aufträge im Umfang von bis zu 500 Milliarden Euro. Das wären 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandprodukts (Handelsblatt-Online, 08.01.2020). Demgegenüber erzielten Start-ups nur 4,0 % ihrer Gesamtumsätze durch Geschäftsbeziehungen mit Behörden (Deutsche Start-up Monitor 2019). Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die öffentliche Hand bisher selten ihre Beschaffungsprozesse offen für Start-ups gestaltet. Hinzu kommt aber auch, dass der organisatorische und administrative Aufwand, um sich an öffentlichen Aufträgen zu beteiligen, relativ hoch ist und gerade auch das streng formalisierte Vergabeverfahren als hohe Hürde empfunden wird.
Dabei dürften öffentliche Aufträge gerade in der jetzigen Zeit, da die Privatwirtschaft neuen Investitionen gegenüber sehr zurückhaltend ist, für Start-ups besonders interessant sein. Der Beschaffungsbedarf der öffentlichen Hand ist durch die Krise nur bedingt tangiert, so dass öffentliche Aufträge weiterhin vergeben werden, sogar zum Teil Corona-bedingt noch in größerem Umfang als vorher. Bedingt durch die Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie muss die öffentliche Hand beispielsweise notgedrungen massiv in die Digitalisierung investieren.
II. Typische Herausforderungen im Vergaberecht für Start-ups
Die erste Hürde für Start-ups im Vergaberecht, die genommen werden muss, ist, überhaupt Kenntnis von potenziellen Ausschreibungen zu erhalten. Soweit die Vergabeverfahren öffentlich bekannt gemacht werden – üblicherweise auf Onlineportalen – kann man sich als Start-up über geeignete Suchmaschinen einen Überblick über offene Ausschreibungen verschaffen. Allerdings dürfen die öffentlichen Auftraggeber gerade bei kleineren Auftragswerten (üblicherweise unter 100.000 Euro) Verfahrensarten wählen, in denen sie nicht öffentlich ausschreiben müssen. Dann werden direkt drei bis fünf Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert. Hier ist es schwieriger, in den Fokus der öffentlichen Hand zu rücken (siehe dazu unten IV.).
Eine weitere Hürde für Start-ups im Vergaberecht stellen die Eignungsanforderungen dar, also die Nachweise, die die Unternehmen beibringen müssen, um zu belegen, dass sie wirtschaftlich/finanziell und technisch/beruflich in der Lage sind, den Auftrag auszuführen. Insbesondere der Nachweis von vergleichbaren Referenzaufträgen oder langjähriger Erfahrung fällt Start-ups schwer. Genauso problematisch sind Anforderungen an den jährlichen Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre, unter Umständen kombiniert mit einem bestimmen Mindestjahresumsatz. Hier kann das Instrument der Eignungsleihe Start-ups helfen. Die Eignungsleihe dient allein dazu, ein Eignungsdefizit eines Bieters auszugleichen. Dabei leiht sich der Bieter bei einem anderen Unternehmen nur den ihm fehlenden Nachweis der Eignung. Das andere Unternehmen muss sich in einer Erklärung verpflichten, im Falle des Zuschlags mit seinen Kapazitäten zur Verfügung zu stehen. Bei der Leihe von beruflicher Leistungsfähigkeit (insbesondere Personal und Referenzen) muss der Eignungsverleiher den von der Eignungsleihe betroffenen Teil des Auftrages auch tatsächlich ausführen, bspw. als Nachunternehmer.
Öffentliche Aufträge haben oft ein enormes Volumen und übersteigen die Kapazitäten von Start-ups somit oft in ihrer Gesamtheit. Das Vergaberecht bietet eine Reihe von Instrumenten, um die Größe der zu vergebenden Aufträge zu reduzieren. Dies beruht nicht zuletzt auf der Vorgabe des § 97 Abs. 4 GWB zur Förderung und Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Konzipierung von Aufträgen. Danach ist der Auftraggeber verpflichtet, die Leistung in Lose aufzuteilen. Auch kann sich das Start-up einen oder mehreren Nachunternehmer dazu holen oder sich in einer Bietergemeinschaft zusammenschließen.
Hinsichtlich der vielen Formerfordernisse und Regularien im Vergaberecht gibt es letztlich drei Prinzipien, die zu beachten sind. Wenn man diese befolgt, sollte man keine Probleme im Vergabeverfahren haben:
- Unterlagen des AG ganz genau lesen, auch das „Kleingedruckte”,
- bei Zweifeln immer und so lange Fragen stellen, bis diese geklärt sind – und zwar vor (!) Abgabe des Angebots bzw. der Bewerbung und
- Anforderungen des Auftraggebers „sklavisch“ befolgen und keine Änderungen vornehmen.
III. Verfahrensart: Innovationspartnerschaften
Das Vergabeverfahren der Innovationspartnerschaft soll Auftraggeber die Entwicklung und den späteren Kauf von innovativen Waren, Dienstleistungen und Bauleistungen ermöglichen. Die Innovationspartnerschaft eignet sich daher besonders für die Beteiligung von Start-ups. Dabei wird in Kooperation mit dem öffentlichen Auftraggeber eine innovative Lösung für den Beschaffungsbedarf entwickelt. Dadurch ist dieses Verfahren durch Offenheit und Flexibilität geprägt. Es steht es im Gegensatz zu den oft starr anmutenden Verfahren der öffentlichen Ausschreibung. Sowohl für den Auftraggeber als auch den Bieter birgt dieses Verfahren die Möglichkeit, genau aufeinander abgestimmte Produkte zu entwickeln und an der Fortentwicklung und Gestaltung von Lösungsansätzen mitzuwirken.
IV. Marketing muss öffentliche Auftraggeber erreichen
Die Auftraggeber ermitteln im Vorfeld eines Vergabeverfahrens im Rahmen einer Markterkundung ihren konkreten Beschaffungsbedarf. Daher ist es sehr wichtig, dass die Start-ups im Rahmen ihres normalen Marketings / Vertriebs ihr Produkt / ihre Dienstleistung auch bei Kommunen und anderen öffentlichen Auftraggebern – außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens – bewerben. Eine Kontaktsperre gibt es erst und nur, wenn ein Vergabeverfahren eingeleitet worden ist. Dies ist umso wichtiger in den Verfahren, in denen der Auftraggeber direkt drei bis fünf Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordert. Der Auftraggeber ermitteln dann nämlich im Rahmen der Markterkundung auch die geeigneten Unternehmen, die er auffordern möchte. Hierbei hat der Auftraggeber einen sehr großen Ermessenspielraum. Er soll lediglich dafür sorgen, dass zwischen Unternehmen gewechselt wird und nicht immer dieselben aufgefordert werden.
V. FPS Leitfaden und der Legal Tech Chatbot für Start-ups & Vergaberecht
Das Vergaberecht arbeitet – wie viele Rechtsgebiete – mit einem eigenen Vokabular, das für juristische Laien nicht immer verständlich ist. Einmal verinnerlicht, fällt die Lektüre von Bekanntmachungen und Vergabeunterlagen schon etwas leichter. Um interessierten Start-ups das öffentliche Auftragswesen näher zu bringen und ihnen den Zugang zu diesem Markt zu erleichtern, hat FPS in Abstimmung mit dem Deutschen Start-up-Verband einen praxisgerechten Leitfaden erstellt, der die wesentlichen Grundlagen des Vergaberechts für Start-ups erläutert (siehe Link unten).
Außerdem beantwortet unser Chatbot „Pete“ Fragen zum Thema Vergaberecht im Start-up Ökosystem (Wie geht e-Vergabe? Welche Möglichkeiten habe ich als Bieter bei Unklarheiten?). Sein Wissen hat er sich bei den anwaltlichen Kolleginnen und Kollegen von FPS abgeschaut und selbstverständlich lernt er auch ständig dazu. Der Chatbot ist eine eigene Legal Tech Entwicklung der Kanzlei FPS mit dem Tech Start-up Adornis UG. Dabei nutzt der Legal Tech Chatbot künstliche Intelligenz (NLU – natural language understanding) für die Kommunikation zwischen Menschen und Maschine.
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