VG Berlin: Kein Mitbestimmungsrecht bei Wechsel zu „Windows 10“ und „Office 2016“

  1. Die Einführung und Anwendung einer neuen Programmversion (hier „Windows 10“ und „Office 2016“) ist keine nach § 85 Abs. 1 Nr. 13 b) PersVG Berlin mitbestimmungspflichtige Maßnahme, die dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Dienstkräfte zu überwachen.
  2. Für die objektive Möglichkeit der Überwachung müssen über technisch bestimmte Protokollierungen von Datenzugriffen am PC oder auf dem Server hinaus konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme der Gefahr einer möglichen Überwachung rechtfertigen.
  3. Die Einführung einer neuen Programmversion ist nicht mitbestimmungspflichtig, wenn damit nicht auch eine geänderte Überwachungsfunktionalität gegenüber bestehender technischer Einrichtungen verbunden ist. (Leitsätze des Gerichts)

VG Berlin, Beschl. v. 14.11.2019 – 61 K 8.19 PVL

Sachverhalt

Der Abteilungsleiter eines Bezirksamtes informierte den Personalrat über eine beginnende Migration aller PC-Arbeitsplätze auf das Betriebssystem Windows 10 und Office 2016. Der Personalrat verlangte die Einleitung des Beteiligungsverfahrens: Die Softwareumstellungen seien mitbestimmungspflichtig gem. § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 a) und b) PersVG Berlin. Dies lehnte die Abteilungsleitung ab. Zwar protokolliere und speichere das neue Betriebssystem Ereignisse, die auf und über das Endgerät stattfinden. Es finde aber keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Dienstkräfte statt. Gewonnene Erkenntnisse würden ausschließlich zur Gewährleistung und Verbesserung der Betriebsstabilität der informationstechnischen Infrastruktur des Bezirksamtes verwendet werden.

Entscheidung

Das VG lehnt ein Mitbestimmungsrecht ab. Derartige Änderungen seien keine ergonomisch erheblichen Umstellungen und beträfen nicht die Gestaltung des Arbeitsplatzes (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 PersVG Berlin). Auch aus § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 a) PersVG Berlin ergebe sich kein Mitbestimmungsrecht: Die neue Software sei keine technische Einrichtung zur Erfassung der Arbeitszeit.

Das VG widmet sich ausführlich der Frage, ob die neue Dienstsoftware geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung der Dienstkräfte zu überwachen (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 b) PersVG Berlin). Dies verneint es letztlich: Zwar wäre eine Überwachung durch Administratoren der IT-Stelle theoretisch möglich. Allerdings seien diese angewiesen, erfasste Daten ausschließlich zur Sicherstellung der Funktionalität des Programms zu verwenden. Das bloße Misstrauen des Personalrats, Dienstkräfte könnten rechtswidrig überwacht werden, begründe kein Mitbestimmungsrecht. Zudem erweiterten die Umstellungen die Überwachungsmöglichkeiten nicht. Ferner verneint das VG Mitbestimmungsrechte aus § 85 Abs. 2 Nr. 9 und Nr. 10 PersVG Berlin aufgrund des geringen Umfanges der Umstellung.

Praxishinweis

Der Beschluss ist nicht nur für Arbeitgeber im öffentlichen Dienst interessant. Denn er ist auf vergleichbare Konstellationen im Arbeitsrecht übertragbar. Die Bürodienstkraft ist in ihrer Arbeitsweise und ihrem Verhalten einem Büroangestellten im Wesentlichen gleichzustellen. Insofern ergeben sich für beide die gleichen Konflikte: Die automatische Protokollierung durch „Windows 10“ und teilw. auch „Office 2016“ kann ebenso an einem Büroarbeitsplatz zu Überwachungs- und Anpassungsdruck führen und rechtswidrig das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzen.

Einer Übertragbarkeit des Beschlusses des VG stehen vorliegend auch nicht die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes entgegen: Bei einem Wechsel des Betriebssystems und der EDV-Software geht es um rein interne Maßnahmen ohne Außenwirkung und gerade nicht um die Erledigung öffentlich-rechtlicher Amtsaufgaben.

Des Weiteren entspricht auch der Mitwirkungstatbestand des § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 b) PersVG Berlin von Schutzzweck und Inhalt her dem nahezu wortgleichen § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG: Beide Tatbestände bezwecken den Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten (Kohte, in: Düwell, BetrVG, 5. Aufl. 2018, § 87 Rn. 66; stellvertretend für das PersVG Berlin zum gleichlautenden § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG: Kaiser/Anuß, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, BPersVG § 75 Rn. 532).

Zudem hat das BVerwG bestätigt, dass § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG und § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG aufgrund des identischen Wortlautes und gleichlaufenden Schutzzweckes im Wesentlichen gleich auszulegen sind (vgl. NZA 1988, 513). Da der Wortlaut des § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 b) PersVG ebenfalls deckungsgleich ist, spricht Vieles dafür, alle drei Vorschriften gleichförmig auszulegen. Damit wäre die Rechtsprechung des VG Berlin zu § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 b) PersVG Berlin unproblematisch bei ähnlich gelagerten arbeitsrechtlichen Fällen auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG übertragbar.

Der Beschluss setzt dem nahezu unbegrenzten Mitbestim­mungsanspruch von Betriebs- und Personalräten bei der Implementierung von Software Grenzen. Software ist ein sich ständig veränderndes Produkt. Dies gilt insbesondere für die neuen SaaS-Produkte wie „Microsoft 365“, bei denen bei ent­sprechender Lizenzierung nicht nur eine regelmäßige Fehler­behebung im Rahmen der Wartung stattfindet, sondern auch automatische Funktionserweiterungen zur Verfügung gestellt werden. Jedes Upgrade für mitbestimmungspflichtig zu hal­ten, geht an den Erfordernissen der Praxis vorbei. Nach erst­malig mitbestimmt eingeführter Software muss ein erneutes Mitbestimmungsverfahren nur durchgeführt werden, wenn konkrete Umstände vorliegen, die eine weitere Beteiligung der Betriebs- und Personalräte zwingend erforderlich machen.

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