Haftungsfragen bei der Absage einer Präsenz-Mitgliederversammlung bei Vereinen
Angesichts der wieder steigenden Zahlen der COVID-19 Infektionsfälle ist es nicht auszuschließen und vielmehr damit zu rechnen, dass eine Vielzahl von bereits einberufenen Präsenz-Mitgliederversammlungen kurzfristig aufgrund einer behördlichen Untersagung, etwa nach dem Infektionsschutzgesetzes (IfSG), oder aufgrund einer Empfehlung des Robert Koch Instituts abgesagt werden müssen. In dieser Konstellation stellt sich insbesondere die Frage nach den Haftungsrisiken für das Einberufungsorgan oder den Verein.
I. Haftung des Einberufungsorgans gegenüber dem Verein wegen rechtswidriger Absage der Präsenz-Mitgliederversammlung
Werden Vereinsinteressen infolge einer Absage der Mitgliederversammlung verletzt, so kommt eine Haftung des Einberufungsorgans gegenüber dem Verein in Betracht. Ein Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass die Präsenz-Mitgliederversammlung rechtswidrig abgesagt wird und der Verein dadurch einen Schaden erleidet.
1. Widerruf der Einberufung
Es ist allgemein anerkannt, dass eine bereits einberufene Mitgliederversammlung bis zur Eröffnung der Versammlung abgesagt werden kann. Rechtlich handelt es sich bei der Absage um einen Widerruf der Einberufung (OLG Hamm, Beschluss vom 04. Juli 1980 – 15 W 177/79 –, juris Rn. 72). Nach Eröffnung kommt hingegen eine Vertragung der Mitgliederversammlung in Betracht.
Sollte ein Verein aufgrund einer behördlichen Untersagung oder einer Empfehlung die Präsenz-Mitgliederversammlung lediglich auf einen späteren (ggf. bereits bekannten) Termin verschieben oder den Termin zwar unverändert lassen, jedoch die Teilnahmebedingungen an eine virtuelle Mitgliederversammlung anpassen wollen, so scheidet die Haftung aber nicht unbedingt bereits an der fehlenden Absage der Mitgliederversammlung aus.
Die Verlegung bzw. Einladung zu dem Ersatztermin lässt sich rechtlich als eine Neueinberufung qualifizieren, die nach den allgemeinen Grundsätzen und insbesondere unter (erneuter) Einhaltung der satzungsmäßigen Ladungsfrist erfolgt. Die Verlegung beinhaltet zugleich die Absage bzw. den Widerruf der Einberufung zum ursprünglichen Termin und die Neueinberufung (OLG Hamm, Beschluss vom 04. Juli 1980 – 15 W 177/79 –). In der Konstellation, dass eine Neuterminierung zunächst nicht möglich bzw. planbar ist, erfolgen der Widerruf und eine spätere Neueinberufung unabhängig voneinander in Teilakten. Auch bei der „Umwidmung“ der bereits einberufenen Präsenz-Mitgliederversammlung in eine virtuelle durfte es sich um einen Widerruf der Präsenz-Versammlung handeln. Die Teilnahmebedingungen bei diesen Versammlungsarten sind derart unterschiedlich, dass eine „Umdeutung“ bzw. „Umwidmung“ ähnlich wie bei der Einberufung einer Hauptversammlung nicht möglich erscheint.
2. Rechtswidrigkeit der Absage bzw. Verlegung der Mitgliederversammlung
Erfordert das Vereinsinteresse die Durchführung einer Mitgliederversammlung und nimmt das Einberufungsorgan die Einberufung ohne einen wichtigen Grund zurück, so handelt es rechtswidrig. In Betracht kommen Gründe, die derart schwer wiegen, dass eine sinnvolle und satzungsmäßige Durchführung der Mitgliederversammlung zu dem vorgesehenen Zeitpunkt unmöglich ist. Bei einer behördlichen Anordnung besteht grundsätzlich eine Umsetzungspflicht und eine etwaige Zuwiderhandlung ist sogar gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG strafbewehrt. Eine behördliche Anordnung zur Absage der Präsenz-Mitgliederversammlung aufgrund der hohen Teilnehmeranzahl durfte daher einen dringenden Grund darstellen, der den Widerruf der Mitgliederversammlung rechtfertigt.
Auch eine Empfehlung z.B. des Robert-Koch-Instituts, welche eine Absage oder Verschiebung der Mitgliederversammlung empfiehlt, aber nicht zwingend vorschreibt, durfte vor dem Hintergrund der Fürsorge- und Schutzpflichten des Vereins gegenüber seinen Mitgliedern einen dringender Grund für eine Absage bzw. Verlegung der Präsenz-Mitgliederversammlung darstellen (vgl. Engel, ZStR 2020, 110 (111).
II. Schadensersatz wegen Verletzung der weiterhin bestehenden Einberufungspflicht?
Nach einem wirksamen Widerruf der Einberufung der Präsenz-Mitgliederversammlung liegt zunächst wieder der ursprüngliche Zustand der nicht einberufenen Mitgliederversammlung vor. Es ist daher nicht auszuschließen, dass das Einberufungsorgan sich gegenüber dem Verein gem. § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig macht, wenn es die (wieder bestehende) Einberufungspflicht schuldhaft verletzt.
a) Weiterhin bestehende Einberufungspflicht?
Die Abhaltung einer Präsenz-Versammlung während der COVID-19-Pandemie kann zwar ab einer gewissen Personenanzahl unzulässig oder zumindest mit unverhältnismäßigen Risiken verbunden sein, doch führt dies nicht per se zu einer Aussetzung der Einberufungspflicht (vgl. MüKoBGB/Leuschner, 8. Auflage 2018, § 36, Rn. 6a). Eine behördliche Untersagung der Durchführung der Präsenz-Mitgliederversammlung berührt ebenfalls die Einberufungspflicht als solche nicht.
Durch Art. 2 § 5 Abs. 2 und 3 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (nachfolgend das „COVID-19-Gesetz“ genannt) hat der Gesetzgeber vielmehr die Möglichkeit geschaffen, auch ohne Satzungsgrundlage und ohne Allzustimmung der Mitglieder eine virtuelle Mitgliederversammlung abzuhalten. Hiervon muss erforderlichenfalls Gebrauch gemacht werden.
b) Aussetzung der Einberufungspflicht
In der Literatur wird in Ausnahmefällen jedoch die Aussetzung der Einberufungspflicht befürwortet, insbesondere wenn die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. In diesem Fall fehlt es denknotwendig an der schuldhaften Verletzung der Einberufungspflicht.
(1) Rechtsgrundlage
Rechtlich wird dies auf die entsprechende Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB gestützt. Die geltenden Beschränkungen bei der Abhaltung von Präsenz-Mitgliederversammlungen stellen eine schwerwiegende Änderung von Umständen dar, die bei der Regelung der entsprechenden satzungsmäßigen Einberufungspflicht nicht berücksichtigt und vorhergesehen wurden.
(2) Voraussetzungen
Die Aussetzung der Einberufungspflicht wird allerdings nur auf Grundlage einer umfassenden Abwägung und bei kumulativem Vorliegen der nachfolgenden Voraussetzungen in Betracht kommen:
- Eine Präsenz-Versammlung ist wegen der COVID-19-Pandemie unzulässig bzw. unter Berücksichtigung der Mitgliederstruktur mit zu hohen Risiken bzw. unverhältnismäßigem Aufwand verbunden;
- die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung ist unter Berücksichtigung der Mitgliederstruktur mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden;
- es stehen keine unaufschiebbaren Entscheidungen an, die nicht im Umlaufverfahren getroffen werden könnten;
- die Amtszeit aller Vorstandsmitglieder besteht unabhängig von Art. 2 § 5 Abs. 1 COVID-19-Gesetz oder einer vergleichbaren Satzungsbestimmung bis zur nächsten Mitgliederversammlung fort bzw.
- wird im Umlaufverfahren verlängert; sowie
- der Vorstand sorgt anderweitig für die hinreichende Information der Mitglieder (vgl. ausführlich zu den Voraussetzungen Leuschner in MüKoBGB, 8. Aufl. 2018, BGB, § 36, Rn. 6c).
(3) Schaden
Ein potentieller, auf die schuldhafte Verletzung der Einberufungspflicht zurückzuführender Schaden kann sich aus der unterbliebenen Beschlussfassung zu bestimmten Tagesordnungspunkten im Rahmen der Mitgliederversammlung ergeben. Registerrechtlich hat die Verletzung der Einberufungspflicht keine Folgen. Das Registergericht des jeweiligen Vereinsregisters prüft nicht, wenn satzungsmäßige Einberufungspflichten eingehalten wurden.
III. Schadensersatz wegen Verletzung des Mitgliedschaftsverhältnisses
Schließlich kann sich ein Verein wegen Verletzung des Mitgliedschaftsverhältnisses gegenüber seinen Mitgliedern gem. §§ 280 iVm 31 BGB schadensersatzpflichtig machen, wenn er die Vereinsmitglieder nicht unverzüglich über die Absage bzw. Verlegung der Mitgliederversammlung informiert und den Vereinsmitgliedern dadurch Schäden, etwa vergeblich aufgewendete Reisekosten, erwachsen (vgl. MüKoBGB/Leuschner, 8. Auflage 2018, § 32, Rn. 20).
Fazit
Die Absage einer bereits einberufenen Präsenz-Mitgliederversammlung aufgrund einer behördlichen Anordnung dürfte in der aktuellen Situation nicht rechtswidrig, sondern vielmehr geboten sein. Gleichwohl sind die aufgezeichneten Haftungsrisiken zu beachten. Um das Haftungsrisiko in der dritten Konstellation zu minimieren, sollten die Mitglieder des Vereins umgehend darüber informiert werden, dass die Präsenz-Mitgliederversammlung nicht bzw. nicht zu dem in der Einladung vorgesehenen Zeitpunkt oder etwa als virtuelle Mitgliederversammlung stattfinden wird. Für den Fall, dass weder eine Präsenz- noch eine virtuelle Mitgliederversammlung durchgeführt werden kann, wäre eine entsprechende Beschlussfassung im Umlaufverfahren zu erwägen, für welches das COVID-19-Gesetz auch gewisse Erleichterungen enthält, um einen potentiellen Schaden zu vermeiden.
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