Supercharger vom Staat?
Da es im Jahr 1888 noch keine Tankstellen gab, musste Bertha Benz bei ihrer historischen Autofahrt von Mannheim nach Pforzheim (und zurück) das Benzin notgedrungen flaschenweise in einer Apotheke kaufen. Heute gibt es Deutschland über 14.000 Tankstellen für die mehr als 60 Mio. zugelassenen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor, so dass sich niemand mehr über die Benzinversorgung Sorgen machen muss.
Den Strom für Elektroautos gibt es bislang auch vorwiegend „flaschenweise“, d.h. mit niedrigen Ladeleistungen, was bei längeren Fahrten zur Geduldsprobe werden kann. Der Elektroauto-Pionier Tesla hat dieses Problem frühzeitig erkannt und für seine Kunden seit 2012 ein Netzwerk von Ladepunkten mit bis zu 250 kW Spitzenleistung („Supercharger“) aufgebaut.
Diese Erfolgsidee von Tesla will die Bundesregierung kopieren und ein eigenes Netz von schnellen Ladepunkten installieren (lassen). Hierfür hat sie den Entwurf eines Schnellladegesetzes (SchnellLG-E) veröffentlicht. Die schnellen öffentlichen Ladepunkte sollen dabei die langsamen privaten Ladepunkte in der Nähe der Wohnung ergänzen, an denen die Fahrzeuge über Nacht aufgeladen werden können.
Wer macht was?
Nach dem SchnellLG-E „gewährleistet“ der Bund die Bereitstellung von Schnellladeinfrastruktur. Da die Ladepunkte aber von Privatunternehmen betrieben werden sollen, beschränkt sich der Beitrag des Bundes im Wesentlich auf zwei Tätigkeiten:
- Gemäß § 5 des Entwurfs stellt der Bund die benötigten Flächen an den Autobahnen, d.h. an Raststätten und Parkplätzen, bereit.
- Gemäß § 3 Abs. 6 zahlt der Bund an die privaten Betreiber einen Zuschuss, um Verluste an unwirtschaftlichen Standorten auszugleichen
Nach dem Regierungsentwurf sollen auf mindestens 1.000 öffentlich zugänglichen Flächen im ganzen Bundesgebiet private Betreiber künftig Schnellladepunkte mit einer Leistung von mindestens 150 kW bereitstellen. Dies soll das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gemäß § 3 Abs. 2 SchnellLG-E vorantreiben und überwachen. In der Praxis wird das BMVI die Bereitstellung der Schnellladeinfrastruktur ausschreiben. Private Anbieter bewerben sich mit ihrem Produkt (also dem Bereitstellen unter Berücksichtigung der Anforderungen nach § 3 Abs. 3 SchnellLG-E: Flächendeckung, Zugänglichkeit, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Bedarfsgerechtigkeit, Nutzerfreundlichkeit sowie Umweltverträglichkeit) auf einen bestimmten räumlichen Bereich. Die Zuschlagskriterien für dieses Vergabeverfahren im Einzelnen sind noch unbekannt. Sicherlich wird der Preis, zu dem ein privater Betreiber die Bereitstellung anbietet, einen gewissen Einfluss haben.
Räumlicher Zuschnitt
In räumlicher Hinsicht sollen nach § 4 SchnellLG-E mindestens 10 Lose für das gesamte Bundesgebiet ausgeschrieben werden. Mit Blick auf die flächendeckende Bereitstellung folgt aus der Begründung zum Regierungsentwurf, dass der jeweilige private Betreiber nicht nur die wirtschaftlich interessanten Standorte bedienen darf, sondern zugleich auch die (vermeintlich) unrentablen Standorte bedienen muss. In der Begründung zu § 3 Abs. 6 SchnellLG-E heißt es, „die Regelung dient daher dem Ausgleich des Aufbaus und Betriebs an unwirtschaftlichen Standorten. Konkretisierungen erfolgen durch Rechtsverordnung.“
Wahrscheinlich wird das BMVI auch Planungsleistungen im Zusammenhang mit dem konkreten Loszuschnitt über ein Vergabeverfahren beschaffen müssen. Schließlich gilt es, das gesamte Bundesgebiet für den angestrebten flächendeckten Ausbau der Infrastruktur zu erfassen. Unbeantwortet bleibt die Frage, wer die konkreten Grundstücke für den Betrieb bereitstellt. Schließlich sollen laut dem Regierungsentwurf auf 1.000 Flächen Ladepunkte bereitgestellt werden. Ob alle Flächen aus dem staatlichen Bestand kommen und dort verbleiben, oder ob Flächen ebenfalls vom privaten Betreiber zur Verfügung gestellt werden, ist unklar. Selbst wenn von einer privaten Beschaffung der Grundstücke ausgegangen wird, ist die wirtschaftliche Bewertung derzeit unklar. Die Investitionskosten für ein Grundstück dürften den privaten Betreiber im Vergabeverfahren hinsichtlich des Preises als Zuschlagskriterium benachteiligen. Aktuell werden eine Betriebsdauer und somit ein Amortisationszeitraum von zehn Jahren diskutiert. Dementsprechend dürften die Pachtkosten unterhalb des Kaufpreises für ein vergleichbares Grundstück liegen.
Verteilung des Wirtschaftlichkeitsrisiko noch ungeklärt
Wenn private Betreiber sich im Zuge des Vergabeverfahrens auf die Herstellung und den Betrieb der Infrastruktur bewerben, wer trägt dann das Risiko, dass in der jeweiligen Region eine entsprechende Nachfrage herrscht? Die Überlegung, unwirtschaftliche durch wirtschaftliche Standorte zu „subventionieren“, ist zwar mit Blick auf die öffentlichen Kassen charmant. Doch was passiert, wenn der als wirtschaftlich eingeschätzte Standort sich als weniger rentabel herausstellt? Das Endergebnis wird sich erst nach zehn Jahren des Betriebs feststellen lassen.
Aktuell scheint die Regierung von einer umfänglichen wirtschaftlichen Absicherung der privaten Betreiber auszugehen. Der Entwurf sieht vor, ein Verhandlungsverfahren mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 3 VgV durchzuführen. Danach wäre ein öffentlicher Auftrag und keine Konzession im Sinne von § 105 GWB zu vergeben. Mit Blick auf die Abgrenzung zwischen öffentlichen Aufträgen und Konzessionen erklärt § 105 Abs. 2 GWB die Verteilung des Betriebsrisikos für die Nutzung des Bauwerks oder für die Verwertung der Dienstleistungen zum maßgeblichen Kriterium. Das Betriebsrisiko für die Nutzung der Ladestation liegt üblicherweise beim Betreiber. Dementsprechend gehen die Kommunen in ihren Ausschreibungen über die Bereitstellung von E-Ladeinfrastruktur regelmäßig von Konzessionsmodellen aus. Das dürfte auch dann gelten, wenn im Rahmen der Konzessionsvergabe eine Beihilfe gewährt wird, d.h. wenn der Konzessionär nicht das vollständige wirtschaftliche Risiko trägt, weil er staatlich gefördert wird.
Die Parallele zum flächendeckenden Breitbandausbau legt ebenfalls die Einschätzung als Konzession nähe. Auch dort wurde trotz staatlicher Förderung eine Konzession angenommen. Der Bundesgerichtshof hatte zuvor festgestellt, dass jedenfalls dann keine Konzession vorliegen solle, wenn die Einkünfte aus dem Betrieb „weitab einer äquivalenten Gegenleistung“ liegen.
Demnach müsste der Förderanteil so hoch sein, dass die Wirtschaftlichkeit für den privaten Betreiber nahezu unabhängig von dem Entgelt durch die Verbraucher ist. Mit anderen Worten gedenkt der Staat das wirtschaftliche Betriebsrisiko weitgehend zu übernehmen und nicht den privaten Betreibern aufzubürden. Wie das im Einzelfall geschehen soll, bleibt abzuwarten.
Staatliche Beihilfen im freien Binnenmarkt
Wenn der Staat das betriebswirtschaftliche Risiko durch Zuschüsse auffängt, stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit derartiger Beihilfen. Schließlich dürfte diese im gemeinsamen europäischen Binnenmarkt nur nach Maßgabe der Artikel 107 bis 109 Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährt werden. Diesbezüglich sieht der Entwurf in der Begründung zu § 3 Abs. 6 SchnellLG-E vor, dass das BMVI unter Beachtung von Artikel 107 bis 109 AEUV und der haushaltsrechtlichen Vorgaben festlegt, wie Wirtschaftlichkeitslücken in der Markthochlaufphase angemessen berücksichtigt werden können.
Die konkrete Ausgestaltung des Vergabeverfahrens bleibt abzuwarten. Das BMVI wird sicherlich, nach den jüngsten Erfahrungen mit schwierigen Projekten im europarechtlichen Kontext, die Einhaltung der europäischen Verträge genau im Blick behalten.
Vergabe öffentlicher Aufträge
Zur konkreten Durchführung verrät der Entwurf, dass ein Verhandlungsverfahren mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 3 VgV durchgeführt werden soll. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Auftrag aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammen-hängen, nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden kann.
Die Komplexität der Leistung kann unter Berücksichtigung der Kriterien nach § 3 Abs. 3 SchnellLG-E durchaus ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb rechtfertigen. Nach dem Erwägungsgrund 42 zur Richtlinie 2014/24/EU, welche dem § 14 VgV zu Grunde liegt, kann ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb insbesondere bei innovativen Projekten, bei der Realisierung großer, integrierter Verkehrsinfrastrukturprojekte oder großer Computer-Netzwerke oder bei Projekten mit einer komplexen, strukturierten Finanzierung zulässig sein.
Der Förderbedarf in der „Marktanlaufphase“ im Zusammenhang mit dem Schnellladegesetz, mit dem der Ausbau auf dem gesamten Bundesgebiet ein großflächiges Vorhaben realisiert werden soll, ist derzeit noch ungewiss und aufgrund der verschiedenen Einflussfaktoren wirtschaftlich komplex. Alleine die Strompreisermittlung für den privaten Betreiben ist diversen Variablen unterworfen, die die betriebswirtschaftliche Kalkulation für die Bereitstellung und den Betrieb der Ladesäulen beeinflusst. Von der Kalkulation des privaten Betreibers wiederrum wird gleichermaßen die staatliche Förderung abhängen. Ein gewisses Innovationspotential wird dem Infrastrukturausbau ebenfalls nicht abzusprechen sein, etwa mit Blick auf die Ladezeiten und die Nutzerfreundlichkeit.
Abgrenzung zu Fördermittelrunden
Mit dem Schnellladegesetz will die Regierung bewusst einen anderen Weg als mit den vorausgegangenen Förderrichtlinien und Fördermittelrunden gehen. Der Blog-Beitrag vom 30.01.2020 berichtet über Zuwendungen an Private zur Förderung der E-Mobilität. Fördermittelbescheide verpflichten den Empfänger regelmäßig zur Einhaltung gewisser Spielregeln. Ein prominentes Beispiel in diesem Kontext sind die Allgemeinen Nebenbestimmungen zur Projektfinanzierung (ANBest-P). Bei deren Nichteinhaltung ist die Zuwendungsbehörde gehalten, wie im Blog-Beitrag vom 30.01.2020 beschrieben, die Fördermittel zurückzufordern. Der Staat kann im Zuge der Fördermittel jedoch keine vertragliche Erfüllung einklagen. Das heißt, er bekäme zwar sein Geld zurück, hätte aber immer noch keine Ladeinfrastruktur. Da das Schnellladegesetz nunmehr ein Vergabeverfahren vorsieht, an dessen Ende ein bindender beidseitiger Vertrag steht, ist auch die Vertragserfüllung durchsetzbar. Gerade deshalb dürfte die Regierung eine Ausschreibung, wie einleitend beschrieben, als „zuverlässigste Maßnahme identifiziert“ haben.
Genehmigungshürden
Öffentliche Ladepunkte gelten je nach Standort als bauliche Anlagen oder als Straßenzubehör. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Genehmigungsvoraussetzungen. Der Entwurf des Schnellladegesetzes äußert sich nicht zu dem Thema. Damit bleibt auch offen, wer für die Einholung der Genehmigung verantwortlich sein soll und was mit dem Standort geschieht, wenn trotz erfolgreicher Ausschreibung keine Genehmigung erteilt wird.
Mittlerweile sind zumindest die lange Zeit bestehenden eichrechtlichen Schwierigkeiten bei schnellen Gleichstrom-Ladepunkten überwunden, so dass die zukünftigen Betreiber die geladene Strommenge korrekt abrechnen können.
Netzanschluss
Eine Herausforderung für eine bundesweite Ladeinfrastruktur ist der Anschluss an das Stromnetz. Zwar sieht der Entwurf des Schnellladegesetzes in § 3 Abs. 3 die Nutzung erneuerbarer Energien vor. Dies ist aber nicht so verstehen, dass jede Ladesäule direkt mit einem Windrad oder einer Solaranlage verbunden ist. Vielmehr soll der „grüne“ Strom über das Netz zu den Ladepunkten fließen.
Prinzipiell hat der Betreiber eines Ladepunktes aus § 17 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnwG) einen Anspruch darauf, dass der örtliche Netzbetreiber den Ladepunkt an das Netz anschließt. Der Netzbetreiber kann aber im Einzelfall den Anschluss verweigern, wenn dieser aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist. Hier sind Konflikte absehbar, wenn z.B. an einem Autobahnparkplatz mehrere Schnelllader installiert werden sollen und die erforderliche Netzkapazität dort (noch) nicht zur Verfügung steht.
Klagen von Konkurrenten?
In der Presse äußerten etablierte Ladesäulen-Betreiber bereits Kritik an dem Gesetzesentwurf. Es stellt sich daher die Frage, ob sich diese gerichtlich gegen die staatlich subventionierte Konkurrenz wehren können.
Das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ist nur für den Oberschwellenbereich eröffnet und dieser hängt von der aktuellen Wertgrenzen ab. Somit wird vieles von den geschätzten Kosten für die Bereitstellung der Infrastruktur abhängen. Da § 3 VgV für Liefer- und Dienstleistungen grundsätzlich eine Addition der Auftragswerte pro Los vorzieht, ist mit einem europäischen Vergabeverfahren und einer Überprüfungsmöglichkeit für unterlegene Bieter zu rechnen. Diese Möglichkeit würde jedoch nur den Fall betreffen, in dem sich die Beteiligten eines Vergabeverfahrens um den jeweiligen Zuschlag bemühen.
Sieht man in dem staatlichen Zuschuss an die privaten Betreiber eine europarechtswidrige Beihilfe, kommen entsprechende Konkurrentenklagen in Betracht. Solche Klagen gegen staatliche Subventionen für Konkurrenten kennt man z.B. von den Fluggesellschaften Condor, Lufthansa und Ryanair. Dies könnte insbesondere für Bestandsanbieter, die sich nicht am Vergabeverfahren beteiligen, relevant werden.
Fazit
Auch wenn viele Fragen momentan offen bleiben, kann das Gesetz ein wichtiger Baustein zur Elektrifizierung des Individualverkehrs werden. Spannend wird insbesondere das Nebeneinander von privaten Anbietern und „staatlichen Superchargern“. Haben Elektrofahrer*innen zukünftig eine größere Auswahl oder blockiert das Gesetz private Investitionen in die Ladeinfrastruktur?
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