Zündet der Bau-Turbo?
Der folgende Beitrag beleuchtet die zentralen Neuerungen und wagt eine erste Prognose, ob der viel beschworene „Bauturbo“ tatsächlich zünden kann.
Seit Jahren gehört der Wohnraummangel zu den drängendsten gesellschaftlichen Problemen in Deutschland. Im Koalitionsvertrag der 18. Bundesregierung wurde das Ziel von 1,5 Mio. neuen Wohnungen formuliert.[1] Die 19. Bundesregierung erhöhte den Druck nochmals und setzte mit 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr nach[2]. Die aktuelle Bundesregierung verzichtet hingegen auf die Festlegung eines konkreten Wohnungsziels und kündigte stattdessen eine zweistufige Novellierung des Baugesetzbuchs an[3]. Das Problem ist unverändert: In urbanen Ballungsräumen fehlt bezahlbarer Wohnraum. Neben hohen Bau- und Finanzierungskosten wird seit jeher ein zu starres Baurecht als Ursache für den schleppenden Neubau dringend benötigter Wohnungen kritisiert. Nun liegt mit dem „Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung“ die erste von zwei angekündigten BauGB-Novellen der neuen Bundesregierung vor.
Bauturbo – § 246e BauGB
Prominenteste Neuerung ist der als „Bauturbo“ bezeichnete und im Grundsatz bereits von der Ampel-Regierung erdachte § 246e BauGB. Die Norm erlaubt bei Vorliegen einer gemeindlichen Zustimmung Abweichungen von bauplanungsrechtlichen Vorgaben wenn das jeweilige Vorhaben der Wohnraumschaffung dient und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (§ 246e Abs. 1). Im planungsrechtlichen Außenbereich ist die Abweichungsregelung nur auf Vorhaben anzuwenden, die im „räumlichen Zusammenhang“ mit Flächen stehen, die nach § 30 Abs. 1, Abs. 2 oder § 34 zu beurteilen sind (§ 246e Abs. 3). Nach dem erst im Gesetzgebungsverfahren angefügten und kurz vor Gesetzesbeschluss nochmals erweiterten § 246e Abs. 5 BauGB gilt die Regelung bei Vorhabenzulassung nach § 246e Abs. 1 BauGB auch für notwendige Folgeinfrastruktureinrichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten.
Zentrale Stellschraube wird das nunmehr selbstständig geregelte Zustimmungserfordernis sein (§ 36a BauGB). Anders als das gemeindliche Einvernehmen kann die Zustimmung auch aus anderen Gründen als einem Verstoß gegen §§ 31, 33, 34, 35 BauGB verweigert werden und nicht von der nächsthöheren Behörde ersetzt werden. Ein Anspruch auf Zustimmung besteht nicht. Diese Erweiterung der gemeindlichen Beteiligung von einer reinen Rechts- hin zu einer städtebaulichen Zweckmäßigkeitsprüfung dient dem verstärkten Schutz der verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit.
Die Wirksamkeit des § 246e BauGB wird aufgrund des gerichtlich nicht erzwingbaren Zustimmungserfordernisses vom Gestaltungswillen der jeweiligen Gemeinde abhängen. Ob hierdurch in der Fläche Beschleunigungseffekte für den Bau dringend benötigter Geschosswohnungen entstehen, ist fraglich. Im Gesetzgebungsverfahren wurde bereits angemahnt, dass die Norm mangels Beschränkung des Anwendungsbereichs in der Praxis vor allem zum Instrument zur Ausweisung immer neuer Einfamilienhausgebiete am Stadtrand genutzt werden könnte[4]. Gegen diese Anwendungsvariante bestehen in Anbetracht der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Unionsrechtswidrigkeit des § 13b (BVerwG, Urt. v. 18.7.2023 – 4 CN 3.22) indes erhebliche Bedenken[5].
Insgesamt wären eindeutigere Tatbestandsvoraussetzungen, eine Gestaltung als – im Streitfall durchsetzbare – Anspruchsnorm und eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf urbane Räume notwendig gewesen, um den ohnehin schon bestehenden und praktisch erprobten Befreiungsmöglichkeiten nach §§ 31 Abs. 2, Abs. 3 BauGB eine wirksame, rechtssichere und zugleich hinsichtlich des Eingriffs in das Städtebaurecht wohldosierte „Brechstange“[6] an die Seite zu stellen.
Ausweitung bestehender Befreiungsmöglichkeiten – § 31 Absatz 3 BauGB und § 34 Absatz 3b BauGB
Einen mit § 246e BauGB vergleichbaren Ansatz verfolgte bereits die mit dem Baulandmobilisierungsgesetz im Jahr 2021 eingeführte Befreiungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 3 BauGB. Hiermit wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, unabhängig von den Grundzügen der Planung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans abzuweichen. Der erhoffte Effekt für die Wohnraumschaffung blieb allerdings aus. Grund dafür war unter anderem der enge Anwendungsbereich der Norm, der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf atypische Sonderfälle beschränkt war (BVerwG, Urt. v. 24.04.2024 – 4 C 2.23, Rn. 27).
Die Neufassung des § 31 Abs. 3 BauGB ermöglicht nunmehr Befreiungen von Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht nur im Einzelfall, sondern auch „in mehreren vergleichbaren Fällen“. Dies eröffnet die Möglichkeit, beispielsweise für ganze Straßenzüge systematische Aufstockungen, Nachverdichtungen in zweiter Reihe und vergleichbare Wohnraumerweiterungen zuzulassen, die gerade keine atypischen Einzelfälle darstellen. Die bislang vorgesehene Beschränkung auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt wurde aufgegeben. Zudem wird gesetzlich klargestellt, dass diese erweiterte Befreiungsmöglichkeit auch auf faktische Baugebiete im unbeplanten Innenbereich Anwendung findet (§ 34 Abs. 2 BauGB n. F.).
Flankierend führt der neue § 34 Abs. 3b BauGB die Möglichkeit ein, vom Einfügungsgebot im unbeplanten Innenbereich abzuweichen, wenn dies der erstmaligen Errichtung von Wohngebäuden dient. Damit wird die in § 34 Abs. 3a BauGB bereits bestehende Abweichungsmöglichkeit für Vorhaben im Bestand auf Neubauten ausgeweitet. Zudem wird der Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3a BauGB auf die Erweiterung, Änderung und Nutzungsänderung von Nichtwohngebäuden erweitert, wenn hierdurch neuer Wohnraum geschaffen wird.
Allein die Ausweitung der Erleichterungen wird den angestrebten Beschleunigungseffekt nicht garantieren. Der Erfolg der Wohnungsbauprivilegierung im beplanten wie auch im unbeplanten Innenbereich wird auch im zweiten Anlauf davon abhängen, in welchem Umfang die Gemeinden bereit sind, die eröffneten städtebaulichen Spielräume tatsächlich zu nutzen. Die bisherige Befreiungsvorschrift scheiterte in der Praxis vor allem daran, dass ihre Anwendung im Ermessen der Genehmigungsbehörden stand. An dieser Grundentscheidung hält auch die Neufassung fest. Die kommunale Planungshoheit wird durch das neue Zustimmungserfordernis nach § 36a BauGB sogar nochmals gestärkt. Damit wird die Schaffung zusätzlichen Wohnraums gegen den erklärten Willen der Gemeinde auch künftig kaum durchsetzbar sein.
Festsetzung zum Lärmschutz – § 9 Absatz 1 Nummer 23 Buchstabe a BauGB und § 216a BauGB
Als wesentliche Erweiterung des bauplanungsrechtlichen Instrumentenkastens sieht § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB die erleichterte Festsetzung von Lärmschutzregelungen vor. Gemeinden können nun konkrete Immissionsgrenzwerte festsetzen und in „begründeten Fällen“ von den Vorgaben der TA-Lärm abweichen. Ziel ist es, Lärmkonflikte im Zuge von Nachverdichtungen pragmatisch zu lösen und damit zusätzliche Wohnbaupotenziale zu erschließen.
Ob die neue Festsetzungsmöglichkeit zum gewünschten Ziel führen wird, begegnet allerdings erheblichen Zweifeln.
Hinter den Geräuschimmissionswerten steht insbesondere der Schutz gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse; Abweichungen können daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erfolgen. Diese Ausnahmefälle werden in der neuen Regelung mit „begründeten Fällen“ umschrieben, jedoch nicht näher konturiert, was zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt. Ebenso ist unklar, ob mit der neuen Festsetzungsmöglichkeit lediglich die Geräuschimmissionswerte geregelt werden können oder auch darüber hinaus Abweichungen von der TA-Lärm eröffnet werden.
Zusätzlich birgt die Möglichkeit von Abweichungen das Risiko, dass eine fehlerhafte Festsetzung die Wirksamkeit des gesamten Bebauungsplans in Frage stellt. Dem begegnet der Gesetzgeber mit der neu eingeführten Fehlerfolgenregelung: Mit § 216a BauGB wird die Bauaufsichtsbehörde ermächtigt, Lärmschutzanordnungen gegenüber bereits bestandskräftig genehmigten Wohngebäuden zu erlassen, wenn der zugrunde liegende Bebauungsplan wegen fehlerhafter Lärmschutzfestsetzungen für unwirksam erklärt wird. Wie in solchen Fällen ein lärmkonformer Zustand konkret herzustellen ist und wer die dadurch entstehenden Kosten trägt, ist gesetzlich nicht im Einzelnen geregelt. Insgesamt bestehen an der neuen Festsetzungsmöglichkeit rechtliche Unsicherheiten, die jedenfalls keine gute Ausgangslage für die Festsetzungsfreudigkeit der Gemeinden bieten.
Fazit
Das Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung stellt eine Fortsetzung der bekannten Ansätze zur Wohnraumschaffung dar. Die Erweiterung und Verlängerung dieser Ansätze schafft einige neue Freiräume, verlangt aber nach wie vor ein hohes Maß an Verantwortung und Umsetzungswillen auf kommunaler Ebene. Im Kern geht es um Ausnahmeregelungen für die als Hemmnis empfundenen bauplanungsrechtlichen Regelungen. Ob der Wohnungsbau-Turbo zündet, hängt maßgeblich davon ab, ob Kommunen bereit sind, von den erweiterten Möglichkeiten Gebrauch zu machen.
[1]Koalitionsvertrag 19. Legislaturperiode, S. 109.
[2]Koalitionsvertrag 20. Legislaturperiode, S. 69
[3]Koalitionsvertrag 21. Legislaturperiode, S. 23.
[4]Schröer, FAZ vom 05.06.2025; Vornholt, IVV 7/2025, S. 16.
[5]Schröer, NVwZ Editorial 15/2025;
[6]Zitat Bundesbauministerin Verena Hubertz v. 15.05.2025: „Die Einführung des § 246e Baugesetzbuch ist die Brechstange, die wir brauchen.“, https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2025/20250516-100-tage.html.
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