Verzichtet die Regierung in Zukunft auf EU-weite Ausschreibungen im Verteidigungsbereich? – Was wirklich hinter dem neuen Gesetzentwurf steht und wie brisant er ist

Das Bundeskabinett hat am 30.10.2019 den Gesetzentwurf zur beschleunigten Beschaffung im Bereich Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik beschlossen. Damit wird eine Forderung des Koalitionsvertrages umgesetzt, wodurch laut Bundesregierung schneller auf kurzfristige Anforderungen reagiert werden soll und auch Schlüsseltechnologien gestärkt werden.

Die Gesetzesbegründung verweist auf „neue sicherheitspolitische Herausforderungen“, die in ihrer Vielfältigkeit kurzfristige und effektive Reaktionen bedingen. Dabei sollen im Rahmen der speziellen europarechtlichen Vorgaben vergaberechtliche Spielräume konsequenter genutzt werden.

Welche Änderungen bringt der Entwurf?

Der Gesetzentwurf sieht in diesem Zusammenhang Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB (§§ 107 Abs. 2, 169 Abs. 2 S. 3, 173 Abs. 2 S. 2; 176 Abs. 1 S. 2) sowie der VSVgV (§§ 12 I Nr. 1 lit. b aa), lit. c) vor. Dadurch betroffen sind drei Aspekte der Beschaffungen:

  • die Ausnahmen vom EU-weiten Teilnahmewettbewerb
  • die Anpassung im Rechtsschutz,
  • die Ausnahmen vom Vergaberecht bei wesentlichen Sicherheitsinteressen

Die Änderungen im Einzelnen

§ 107 Abs. 2 GWB ist die nationale Umsetzung von Art. 346 Abs. 1 AEUV, welcher Ausnahmen vom Vergaberecht für Beschaffungen vorsieht, denen die Preisgabe von wesentlichen Sicherheitsinteressen entgegensteht.

Diese können- so die neue Konkretisierung in S. 2- vorliegen, wenn verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betroffen sind. Die Einstufung als verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologie soll durch Beschluss des Bundeskabinetts z. B. im Weißbuch der Bundeswehr erfolgt.

Dieser Auslegungshinweis wird im Rahmen einer „Kann-Vorschrift“ dargestellt, sodass eine Einzelfallprüfung, ob wesentliche Sicherheitsinteressen tatsächlich betroffen sind, weiterhin erforderlich ist. Demnach kommt der Einstufung als verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologie lediglich Indizwirkung zu.

Der weiterhin neu vorgeschlagenen § 107 Abs. 2 S. 3, nennt als weitere Fallgruppen, in denen nationale Sicherheitsinteressen berührt sein können:

  • sicherheitsindustriellen Schlüsseltechnologien , welche ebenfalls durch Beschluss des Bundeskabinetts eingestuft werden.
  • Leistungen, „[…] die für den Grenzschutz, die Bekämpfung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität oder für verdeckte Tätigkeiten der Polizei oder der Sicherheitskräfte bestimmt sind oder
  • Leistungen die Verschlüsselung betreffen […]“.

Auch diese Auslegungshinweise sind als „Kann-Vorschrift“ ausgestaltet, allerdings ist als zusätzliches Tatbestandsmerkmal vorgesehen, dass ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.

Die Änderungen der §§ 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 2 S. 2 und 169 Abs. 2 S. 2 GWB sind wortgleich und dienen dem gleichen Ziel: Besteht ein Beschaffungsbedarf in unmittelbarem Zusammenhang mit

  • einer Krise (definiert in Art. 1 Nr. 10 RL 2009/81/EG),
  • einem mandatierten Einsatz der Bundeswehr,
  • einer einsatzgleichen Verpflichtung der Bundeswehr oder einer Bündnisverpflichtung,

soll bei der Abwägungsentscheidung über die Zuschlagsgestattung vor Abschluss eines Nachprüfungsverfahrens in der Regel das besondere Verteidigungs- und Sicherheitsinteresse überwiegen. Diese Regelbeispiele sollen entsprechend auch im weiteren Verlauf der Vergabenachprüfung gelten. Dadurch sollen Verzögerungen bei Beschaffungen vermieden oder minimiert werden. Der antragstellende Bieter ist damit im Ergebnis gänzlich auf einen möglichen Schadenersatzanspruch verwiesen, die Chance nach Feststellung von Vergabefehlern den Zuschlag noch erhalten, ist damit faktisch nicht mehr gegeben. .

Die Änderungen der VSVgV

In der VSVgV sieht der Gesetzentwurf lediglich eine Änderung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 vor. Dabei werden als Regelbeispiele

  • mandatierte Auslandseinsätze,
  • einsatzgleiche Verpflichtungen der Bundeswehr,
  • friedenssichernde Maßnahmen,
  • Abwehr terroristischer Angriffe und,
  • eingetretene bzw. unmittelbar drohende Großschadenslagen

aufgeführt, bei denen ein dringlicher Grund vorliegen soll. Der Beschaffungsbedarf muss durch das Regelbeispiel kurzfristig neu entstehen oder gesteigert werden. Sofern dies der Fall ist, soll das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zur Anwendung kommen dürfen, um schnelle Beschaffungen „zur Bewältigung einer Krise“ tätigen zu können. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 1 b) bleiben jedoch erhalten, so dass der Rückgriff auf den Ausnahmetatbestand weiterhin nur dann zulässigerweise möglich ist, wenn die Beschaffung nicht unter Einhaltung der (auch verkürzten) Fristen des offenen und nicht offenen Verfahrens möglich ist.

In Bezug auf § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) soll klargestellt werden, dass es auf den Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten ankommt. Damit soll insbesondere verhindert werden, dass Nachprüfungsverfahren missbraucht werden, um einen Entwicklungsvorsprung aufzuholen.

Was ist davon zu halten?

Die mit dem Entwurf beabsichtigten Änderungen werden sich beweisen müssen. Bei genauerem Hinschauen entfällt insbesondere im Hinblick auf den gänzlichen Ausschluss vom Vergaberecht nach § 107 Abs. 2 das Empörungspotenzial, wenn man beachtet, dass den aufgeführten Kriterien letztendlich nur Indizwirkung als „Kann-Vorschrift“ zukommt. Auch der Gesetzgeber hat in seiner Begründung klargestellt, dass die EU-Kommission in jedem Fall eine Einzelfallprüfung verlangt und die Ausnahmen eng auszulegen sind.

Bei der Änderung in der VSVgV verhält es sich ähnlich: Hier bietet der Entwurf eine Klarstellung zum Begriff der Krise, wobei die Regelbeispiele wohl auch bei vorheriger Auslegung darunter subsumiert wurden. Der Auslegungshinweis führt hier zu größerer Rechtssicherheit, eine Einzelfallprüfung der anderen Voraussetzungen ist hingegen weiter essenziell. Insbesondere die „dringlichen Gründe“ und der Ausschluss der verkürzten Verfahren sollten auch in Zukunft gründlichst untersucht werden.

Kritischer erscheinen wohl eher die Änderungen in Bezug zum Rechtsschutz, die eine Zuschlagsgestattung für die aufgeführten Fälle als Regel vorsehen und dadurch eine Verkürzung des Rechtsschutzes bedingen. Die Nachprüfungsinstanzen werden sich jedenfalls schwerlich gegen diese Vorgaben stellen, sodass nur in Extremfällen mit einem Zuschlagsverbot zu rechnen ist.

Wie geht es weiter ?

Zügig. Der vorgesehene Zeitplan sieht eine Befassung von Bundestag und Bundesrat noch im Dezember vor.

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