Rahmenvereinbarungen im Vergaberecht: Der EuGH hat sich klar zur Festlegung einer Höchstmenge positioniert
Der EuGH hat Ende Juni eine interessante Entscheidung zu Höchstmengen bei Rahmenvereinbarungen getroffen (Rechtssache C-23/20).
Um was ging es?
Der EuGH musste zu drei Vorlagefragen eines dänischen Gerichts Stellung beziehen. Es ging vordergründig um die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen bei Rahmenvereinbarungen eine Höchstmenge bzw. Höchstwert angeben muss. Darüber hinaus stand in Frage, inwiefern diese Höchstmenge differenziert werden müsste. Abschließend musste geklärt werden, ob ohne Angabe der Höchstmenge geschlossene Rahmenvereinbarungen unwirksam sind.
Wie hat der EuGH entschieden?
Der EuGH hat klar entschieden, dass die Höchstmenge oder der Höchstwert bei Rahmenvereinbarungen angegeben werden müssen. Dabei gesteht das Gericht ein, dass der Wortlaut des europäischen Vergaberechts dies nicht eindeutig vorschreibt. Die Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz sowie die Systematik der Richtlinie geböten allerdings keine andere Auslegung. Der öffentliche Auftraggeber sei verpflichtet, den Inhalt der beabsichtigten Rahmenvereinbarung festzulegen. Dabei müsste der Auftraggeber den Auftragswert sowieso schätzen und könnte diesen den Bietern damit auch ohne weiteres mitteilen. Diese Transparenzanforderung soll die Bieter davor schützen, sich möglicherweise auf Aufträge einzulassen, die ihre Leistungsfähigkeit überschreiten und sich so Haftungsschäden ausgesetzt zu sehen. Der Auftraggeber solle auch daran gehindert werden, den Grenzen von Rahmenvereinbarungen ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Demnach sei eine Höchstmenge oder ein Höchstwert zwingend anzugeben und die Rahmenvereinbarung verliere ihre Wirkung, sobald dieser erreicht sei. Der EuGH überlässt es aufgrund der direkten Verlinkung zu den Vergabeunterlagen den Auftraggebern, ob die Höchstmenge bereits in der Bekanntmachung oder erst in den Vergabeunterlagen angegeben wird. Die Höchstmenge müsse als Gesamtwert angegeben werden. Den Auftraggebern stünde es allerdings frei diese weiter aufzuschlüsseln, beispielsweise getrennt nach Auftraggebern oder Optionen.
Sofern Rahmenvereinbarungen ohne Angabe der Höchstmenge geschlossen würden, seien diese nicht genauso zu behandeln, wie Aufträge, die überhaupt nicht bekanntgemacht wurden (de-facto-Vergaben). Die Sanktion der Unwirksamkeit sei nur für schwerste Verstöße vorgesehen und in diesem Falle unverhältnismäßig. Der Verstoß des öffentlichen Auftraggebers gegen die Pflicht zur Angabe der Höchstmenge sei in den Vergabeunterlagen außerdem deutlich genug erkennbar, dass möglicherweise davon geschädigte Wirtschaftsteilnehmer diesen rechtzeitig beanstanden könnten.
Was folgt daraus für die Praxis?
Der EuGH hat eine eindeutige Anforderung für die Praxis aufgestellt: neben dem Schätzwert müssen die Vergabeunterlagen für Rahmenvereinbarungen die Höchstmenge oder den Höchstwert enthalten. Es verbleiben jedoch noch eine Reihe offene Fragen: Fraglich ist unter anderem, wie der Höchstwert bestimmt werden soll. Die Rahmenvereinbarung soll einem Auftraggeber eine gewisse Flexibilität bei der Beschaffung einräumen. Entsprechend kann die Höchstmenge oder der Höchstwert nur geschätzt werden. Dabei muss dem öffentlichen Auftraggeber abhängig vom konkreten Auftrag und den Rahmenbedingungen ein gewisser Spielraum zustehen. Allerdings ist unklar, wie groß dieser in der Regel sein darf; bisher werden hier in der Praxis Werte von 20% bis zu 50% über dem Schätzwert angenommen. Sinn und Zweck des Maximalwertes dürfen dabei nicht durch unverhältnismäßig große Puffer unterlaufen werden. Dem Auftraggeber muss allerdings auch eine gewisse Prognosefreiheit zugebilligt werden.
Daneben hat der EuGH festgehalten, dass die Rahmenvereinbarung mit Erreichen der Höchstmenge „seine Wirkung verliert“. Unklar bleibt mit dieser Formulierung, ob dies im Sinne einer auflösenden Bedingung § 158 BGB gemeint ist oder lediglich verdeutlichen soll, dass der Vertrag nicht mehr für Einzelabrufe genutzt werden darf. Wenn im Vertrag dazu nichts geregelt worden ist, dürfte im Ergebnis allein das Erreichen der Höchstmenge keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung haben. Dafür spricht auch, dass der EuGH sogar dann, wenn überhaupt keine Höchstmenge angegeben wurde, davon ausgeht, dass die Rahmenvereinbarung nicht wie eine de-facto-Vergabe zu behandeln ist, d.h. auch weiterhin wirksam ist. Allerdings könnte das Erreichen der Höchstmenge Auswirkungen auf die dennoch erteilten Einzelabrufe haben. Hier könnte man – jedenfalls soweit der Einzelabruf den Schwellenwert überschreitet – unter Umständen eine de-facto-Vergabe annehmen, da es für die „Direktvergabe“ des Einzelabrufs keine rechtliche Grundlage mehr gab. In Zukunft wäre es daher anzuraten, für den Fall des Erreichens der Höchstmenge im der Rahmenvereinbarung klar zu regeln, dass die Rahmenvereinbarung damit endet.
Weiterhin stellt sich auch die Frage nach der Handhabung möglicher Auftragsänderungen nach § 132 GWB. Hier wäre sowohl der De-minimis Betrag als auch die 50 % gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 GWB noch auf den Höchstwert aufzuschlagen. Denn die Frage der Auftragsänderung kann sich immer – unabhängig von der Frage der Höchstmenge - stellen. Bei der Auftragsänderung geht es nämlich in der Regel nicht nur um reine mengenmäßige Erweiterungen, sondern auch um inhaltliche Änderungen der Leistungen. Allerdings müsste die Auftragsänderung noch vor Erreichen des Höchstwerts durchgeführt werden: Wenn der Höchstwert erreicht ist und damit die Rahmenvereinbarung nach dem EuGH seine „Wirkung verliert“, würde die Rahmenvereinbarung entweder enden, wenn die oben empfohlene vertraglichen Regelung aufgenommen wurde, oder die Änderung wäre letztlich als de-facto-Vergabe einzustufen.
In diesem Zusammenhang stellt sich ebenso die Frage nach der Sperrwirkung einer bestehenden Rahmenvereinbarung gegenüber einer inhaltsgleichen neuen Rahmenvereinbarung. Zwar ist das Doppelvergabeverbot in der VgV gesetzlich nicht mehr normiert, jedoch lässt es sich weiterhin aus dem Missbrauchsverbot herauslesen. Nimmt man an, mit Erreichen des Höchstwertes erlösche die Rahmenvereinbarung, stünde einer neuen Rahmenvereinbarung nichts mehr im Wege. Geht man allerdings davon aus, dass die Rahmenvereinbarung nur nicht mehr für Abrufe genutzt werden darf, bliebe sie bestehen. In diesen Fällen wird man Ausnahmen von der Sperrwirkung wohl als gerechtfertigt ansehen müssen. Denn die Rahmenvereinbarung wäre ohnehin nur noch eine leere Hülle, die wegen einer vertragstechnischen Unsauberkeit zwar noch wirksam ist, aber faktisch wegen der fehlenden Einzelabrufe faktisch keine Wirkungen mehr entfalten kann.
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