Das gemeindliche Vorkaufsrecht ist in Milieuschutzgebieten am Ende! – Vorläufig.

„Ein Instrument zur Sicherung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist damit so gut wie tot.“ So schreibt es Berlins amtierender Senator für Stadtentwicklung und Wohnen Sebastian Scheel (Linke) am 09.11.2021 auf Twitter. Seine Einschätzung dürfte richtig sein.

Wenige Stunden zuvor verkündete das Bundesverwaltungsgericht ein wegweisendes Urteil (BVerwG 4 C 1.20). Darin gab es einem privaten Immobilienkäufer recht, der sich mit Erfolg gegen die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts wehrte.

Die Entscheidung wird erhebliche praktische Auswirkungen haben.

Insbesondere in Berlin und München ist in den vergangenen Jahren zunehmend von gemeindlichen Vorkaufsrechten Gebrauch gemacht worden. Betroffen sind vor allem Kaufverträge über Grundstücke in sog. Milieuschutzgebieten.

Mit der am gestrigen 09.11.2021 ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte die Ausübung von Vorkaufsrechten in diesen Gebieten rechtssicher kaum noch zu begründen sein.

Dass das Instrument insofern de facto am Ende ist, zeigen nicht nur erregte Tweets, sondern auch die sofort erhobenen Forderungen nach Anpassung der gesetzlichen Regelungen durch den Bundesgesetzgeber.

Ob sich in der wahrscheinlichen zukünftigen Regierungskoalition hierfür eine Mehrheit finden wird, darf mit Spannung erwartet werden. Die Koalitionsgespräche sind in jedem Falle um einen Konfliktpunkt reicher geworden.

Der Fall und rechtlicher Hintergrund

Der Käufer hatte 2017 ein gründerzeitliches Wohn- und Geschäftshaus gekauft. Das Grundstück liegt in Berlin-Kreuzberg in einem der zahlreichen Milieuschutzgebiete.

Milieuschutzgebiete sind Gebiete, in denen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 BauGB). Sie werden auch als soziale Erhaltungsgebiete bezeichnet.

In diesen Gebieten bedarf der Rückbau, die Änderung und die Nutzungsänderung baulicher Anlagen einer erhaltungsrechtlichen Genehmigung. Sofern es eine entsprechende landesrechtliche Regelung gibt, bedarf auch die Begründung von Wohnungs- oder Teileigentum einer erhaltungsrechtlichen Genehmigung. Anspruch auf derartige Genehmigungen besteht nur in engen Grenzen.

Diese Regelungen sollen bauliche und bestimmte rechtliche Veränderungen des Wohnungsbestands im jeweiligen Gebiet möglichst unterbinden. Damit wird das Ziel verfolgt, die ansässige Wohnbevölkerung vor einer Verdrängung durch den Verlust von Mietwohnungen bzw. mietwirksame Modernisierungen zu schützen.

In Milieuschutzgebieten steht der jeweiligen Gemeinde darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken zu (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB).

D. h. die Gemeinde kann als Vorkaufsberechtigte durch einseitige Erklärung bewirken, dass zwischen ihr und dem Verkäufer ein Kaufvertrag über das Grundstück zu den gleichen Bedingungen zustande kommt, die der Verkäufer mit dem „eigentlichen“ Käufer vereinbart hat. Dieser geht dann leer aus und wird von seiner Kaufpreiszahlungspflicht frei.

Im entschiedenen Fall machte die Gemeinde, d. h. hier das Land Berlin in Gestalt des zuständigen Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, von ihrem Vorkaufsrecht durch Bescheid Gebrauch. Sie übte es jedoch nicht zu eigenen Gunsten aus, sondern zugunsten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft.

Die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten eines Dritten ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (§ 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Die Vorkaufsrechtsausübung bewirkt dann, dass ein Kaufvertrag zwischen dem Verkäufer und dem Dritten zustande kommt. Das geschieht wiederum zu den Bedingungen des „eigentlichen“ Kaufvertrags. Allerdings haftet die Gemeinde dem Verkäufer neben dem Dritten ebenfalls für die Kaufpreiszahlung.

Hiermit war jedenfalls der Käufer nicht einverstanden. 

Gewünschtes Ergebnis schlägt Gesetzeswortlaut – Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts

Der um seine Rechte aus dem Kaufvertrag gebrachte Käufer klagte gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts. Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 17.05.2018, VG 13 K 724.17) und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22.10.2019, OVG 10 B 9.18) wiesen seine Klage jedoch ab.

Beide waren der Auffassung, der Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Käufer nicht in seinen Rechten. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt, wie es das Gesetz verlange (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB).

Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertige die Vorkaufsrechtsausübung, wenn ohne Ausübung des Vorkaufsrechts erhaltungswidrige Entwicklungen in Bezug auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu befürchten seien.

Hierzu müssten künftige Veränderungen oder Veränderungsabsichten des Käufers in den Blick genommen werden. Einen sicheren Nachweis, ob entsprechende Absichten bestünden, müsse die Gemeinde aber nicht führen. Es genüge, wenn Tatsachen vernünftigerweise eine erhaltungswidrige Entwicklung befürchten ließen.

Entsprechende Indizien lagen nach Ansicht der beiden Gerichte vor.

So liege das Grundstück in einer gefragten Innenstadtlage. Gleichzeitig bewegten sich die Mieten im Objekt aber durchweg unterhalb des Mietspiegelmittelwerts. Schon das lasse die Verdrängung von Mietern befürchten, die sich höhere Mieten nicht leisten könnten.

Den Einwand des Käufers ließen die Gerichte nicht gelten, dass für das Objekt noch bis 2026 Mietpreis- und Belegungsbindungen gelten. Dann beziehe sich die Befürchtung erhaltungswidriger Entwicklungen eben auf die Zeit danach.

Solche Befürchtungen seien auch wegen des „relativ hohe[n]“ Kaufpreises begründet. Dieser betrug hier das 25fache der Jahresnettokaltmiete. Ein solcher Kaufpreis sei wirtschaftlich nur zu rechtfertigen, wenn das gekaufte Grundstück anders als bisher genutzt werden solle. Der Kaufpreis müsse über die Mieten refinanziert werden. Bei „vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung“ sei zu erwarten, dass der Käufer beabsichtige, die Rendite durch mieterhöhende bauliche Maßnahmen zu steigern.

Er habe es – ein weiteres Indiz – zudem versäumt, sich schriftlich zu verpflichten, von solchen Maßnahmen sowie von einer Aufteilung in Wohn- und Teileigentum abzusehen. Das wäre ihm jedoch zuzumuten gewesen.

Die Einwände des Käufers ließen die beiden Instanzgerichte wiederum nicht gelten. Dass die befürchteten mieterhöhenden Maßnahmen genehmigungspflichtig und deswegen nicht ohne weiteres umzusetzen seien, spiele keine Rolle.

Ohnehin rechtfertige auch der Umstand, dass der Käufer ein privates Immobilienunternehmen und als solches an einem möglichst hohen Gewinn interessiert sei, die Befürchtung erhaltungswidriger Entwicklungen.

Die Vorkaufsrechtsausübung sei deswegen gerechtfertigt.

Allerdings ist die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts u. a. dann kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn das Gebäude entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme genutzt wird und keine städtebaulichen Missstände bestehen (§ 26 Nr. 4 2. Alt. BauGB).

Hierauf berief sich der klagende Käufer. Der Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Vorkaufsrechtsausübung entsprach nicht zuletzt wegen der niedrigen Mieten den Zielen des Milieuschutzes. Städtebauliche Missstände bestanden ebenfalls nicht.

Indes befanden die Instanzgerichte, der man dürfe nicht allein den Gesetzeswortlaut („wird genutzt“) zugrunde legen. Das führte dazu, dass das Vorkaufsrecht immer ausgeschlossen sei, wenn die tatsächliche Grundstücksnutzung mit den Zielen der Milieuschutzsatzung übereinstimme. Das hieße aber, dass das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten weitgehend leer liefe.

Darum sei auch hier zu prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte bestünden, aus denen sich erhaltungszielwidrige Nutzungsabsichten des Käufers ableiten ließen. Solche meinten die Instanzgerichte ja bereits festgestellt zu haben.

Es blieb damit beim gefundenen Ergebnis. Die Vorkaufsrechtsausübung sei rechtmäßig.

Das Ergebnis folgt aus dem Gesetzeswortlaut und nicht umgekehrt – Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Hiergegen ist der Käufer erfolgreich beim Bundesverwaltungsgericht vorgegangen. Das Gericht hat der Klage stattgegeben und die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen sowie den verfahrensgegenständlichen Ausübungsbescheid aufgehoben.

Das Vorkaufsrecht sei vorliegend gemäß § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen. Die Voraussetzungen der Norm seien bezogen auf den Ausübungszeitpunkt unstreitig erfüllt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt klar, dass § 26 Nr. 4 BauGB „nach seinem Wortlaut eindeutig auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt“ der Entscheidung der Gemeinde über die Vorkaufsrechtsausübung bezogen ist. Die von den Vorinstanzen „angestellte Prüfung, ob zukünftig von erhaltungswidrigen Nutzungsabsichten auszugehen ist, scheidet daher aus“.

Eine Suche nach vermeintlichen Tatsachen (Eigenschaft als privatwirtschaftliches Unternehmen etc.), welche die Befürchtung nahelegen sollen, zukünftig sei mit einer erhaltungswidrigen Nutzung zu rechnen, hat also gerade nicht stattzufinden.

Die Kürze der zutreffenden Begründung des Ergebnisses ist erfrischend. Sie mag freilich dem Umstand geschuldet sein, dass bislang nur die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt. Die Urteilsgründe lassen ggf. noch etwas auf sich warten.

Und jetzt? – Die Folgen

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entzieht der Vorkaufsrechtsausübung in Milieuschutzgebieten jedenfalls in den in der Praxis absolut dominierenden Fällen die Grundlage, in denen die Nutzung des jeweiligen Gebäudes mit den sozialen Erhaltungszielen in Einklang steht.

Die erst jüngst durch das Baulandmobilisierungsgesetz von zwei auf drei Monate verlängerte Ausübungsfrist sowie die erleichterte Möglichkeit, von einer Herabsetzung des Kaufpreises auf den Verkehrswert Gebrauch zu machen, verlieren so einiges von ihrem den Grundstücksverkehr beeinträchtigenden Schrecken. Die Kaufpreislimitierung wird erst dann relevant, wenn das Vorkaufsrecht nicht schon kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.

Die derzeit kontrovers diskutierte Frage, ob entgegen dem Gesetzeswortlaut („Kauf von Grundstücken“) auch bei sog. Share Deals, bei denen die Anteile an der grundbesitzhaltenden Gesellschaft verkauft werden, eine Vorkaufsrechtsausübung in Betracht kommen kann, dürfte sich zumeist ebenso nicht mehr stellen. Wenn schon beim Verkauf des Grundstücks das Vorkaufsrecht kraft Gesetzes ausgeschlossen wäre, kann beim Anteilskauf nichts anderes gelten.

Mit der vorliegenden Entscheidung zeigt das Bundesverwaltungsgericht zudem, dass es den Gesetzeswortlaut der Vorkaufsvorschriften ernst nimmt. Es scheint deswegen schwer vorstellbar, dass es im Falle der Share Deals am Wortlaut vorbei zu einem ergebnisorientierteren Gesetzesverständnis kommen würde.

Immobilienkäufer, die sich zuletzt noch zur Abwendung des Vorkaufsrechts durchgerungen und weitreichende Abwendungsvereinbarungen abgeschlossen hätten, werden sich hierzu nun nicht mehr bereit finden.

Zu prüfen wird sein, ob Abwendungserklärungen und Abwendungsvereinbarungen mit ihren oft umfangreichen Pflichtenkatalogen aus der Zeit vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts jetzt noch Bestand haben können.

Der schon am Tag der Entscheidungsverkündung spürbare politische Druck, sich der Regelungen zum Vorkaufsrecht nochmals seitens des Bundesgesetzgebers anzunehmen wird in näherer Zukunft nicht geringer werden. Das Ergebnis bleibt indes mit Blick auf die wahrscheinliche Zusammensetzung der demnächst regierenden Koalition abzuwarten.

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