Datenschutz, Preisexplosion und Insolvenzen: Vergaberecht im Jahr 2022 - eine Bilanz
Müssen öffentliche Auftraggeber in Folge des Ukraine-Krieges Preisgleitklauseln zulassen, mischt der EuGH nun auch im Unterschwellenrecht mit und was sagt er zur Direktvergabe von Verträgen insolventer Unternehmen? Auch 2022 gab es wichtige Fragen im Vergaberecht – gelegentlich auch mit Schnittstellen zum Datenschutzrecht und zum Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG)- zu klären, die sicher auch 2023 noch diskutiert werden.
Vergaberecht mischt Datenschutzrecht auf: Einbindung einer luxemburgischen Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Unternehmens als Hosting-Anbieterin führt nicht zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren
Ein sehr großes Medienecho erfuhr das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 07.09.2022- 15 Verg 8/22), nachdem die (ebenfalls breit diskutierte und vielfach stark kritisierte) Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg (Beschluss vom 13.07.2022 – 1 VK 23/22) gekippt wurde.
Seit dem sogenannten Schrems II- Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Juli 2020 (Rs. C-311/18) kann eine Übermittlung personenbezogener Daten in die USA nicht mehr auf das sogenannte EU-US Privacy Shield gestützt werden, da der EuGH diesen Angemessenheitsbeschluss für ungültig erklärt hat. Begründet wurde dies u.a. mit unverhältnismäßigen Überwachungsmaßnahmen der US-Geheimdienste und fehlenden Garantien für die Integrität übermittelter Daten.
In dem Vergabeverfahren zweier kommunaler Krankenhausgesellschaften für ein digitales Entlassmanagement für Patienten wurde vorgegeben, dass die Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes hinsichtlich der personenbezogenen Daten der zur Entlassung anstehenden Patienten erfüllt sein müssen. Die für den Zuschlag vorgesehene Bieterin sicherte in ihren Angebotsunterlagen zu, das von ihr als Hosting-Dienstleisterin eingebundene luxemburgische Tochterunternehmen eines US-amerikanischen Konzerns werde den Auftrag ausschließlich bearbeiten und die Daten würden ausnahmslos auf einem in Deutschland stehenden Server einer deutschen GmbH verarbeitet.
Auf einen Nachprüfungsantrag einer Konkurrentin entschied die Vergabekammer jedoch, dass diese Bieterin aus dem Vergabeverfahren auszuschließen sei, da der Einsatz des luxemburgischen Tochterunternehmens gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoße und daher die Anforderungen der Vergabeunterlagen nicht eingehalten seien. Das Medienecho war groß, hätte die Entscheidung doch letztlich bedeutet, dass der Einsatz europäischer Cloud-Dienstleister mit U.S.- amerikanischen Konzernmüttern (und generell solchen aus Drittländern) bei personenbezogenen Daten generell gegen die DSGVO verstießen und dies jedenfalls bei entsprechenden Vorgaben in den Vergabeunterlagen bei öffentlichen Ausschreibungen zum Ausschluss führen kann.
Das hiernach zuständige OLG Karlsruhe hat diese Entscheidung nicht einmal zwei Monate später gekippt: Es sei im Rahmen von Nachprüfungsverfahren davon auszugehen, dass ein Bieter Zusagen, die er vertraglich abgibt, auch hält. Erst wenn sich konkrete Zweifel ergäben, müsse der Auftraggeber ergänzende Informationen einholen und die Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens prüfen. Im vorliegenden Fall habe die Anbieterin jedoch eindeutige Zusicherungen zu dem Inhalt des Vertrags zwischen ihr und der luxemburgischen Holding-Dienstleisterin gemacht. Danach dürfen Daten ausschließlich an diese luxemburgische Gesellschaft übermittelt und ausnahmslos von ihr und nur in Deutschland verarbeitet werden. Hierauf könnten die ausschreibenden Gesellschaften vertrauen und müssten nicht damit rechnen, dass die luxemburgische Gesellschaft vertragswidrige und gegen europäisches Recht verstoßende Weisungen befolgen und personenbezogene Daten in die USA übermitteln werde.
Aus der mündlichen Verhandlung des OLG war zu hören, dass der Senat keineswegs als sicher betrachtete, dass die bestehenden Vereinbarungen auch inhaltlich geeignet sind, die Konformität mit der DSGVO sicherzustellen. Für diese Bewertung war der Vergabesenat aber aus seiner Sicht nicht zuständig (sondern nur für die Prüfung von Vergabevorschriften, §§ 160 Abs.2, 97 Abs.6 GWB), womit die Einhaltung datenschutzrechtlicher Standards durch die abgegebene Garantie in die Zukunft (und damit in die Vertragsphase) verlagert wird. Ob sich andere Vergabekammern und Oberlandesgerichte dieser (recht formalen) Herangehensweise anschließen, bleibt abzuwarten. Es ist zu hören, dass die ein oder andere Fallkonstellation (die sich auch möglicherweise im Kontext des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) abspielt und daher besonders für entsprechende Fördermittelempfänger interessant sein wird) hierzu in näherer Zukunft zur Entscheidung anstehen wird.
Krieg in der Ukraine: Keine (Bau-)Ausschreibung ohne Preisgleitklausel?
Bereits am 25.03.2022 und damit wenige Wochen nach Ausbruch der Kriegshandlungen in der Ukraine wurden zunächst durch den Bund und anschließend sukzessive durch die Länder im Rahmen von mehreren, zwischenzeitlich (jedenfalls auf Bundesebene mit Erlass vom 06.12.22 auch über den Jahreswechsel 2022/23 bis 30.06.2023 hinaus) verlängerten und teilweise mittlerweile klargestellten Erlassen Vorgaben zu Bauvergaben und insbesondere zu Preisgleitklauseln gemacht. Den Kommunen beispielsweise in Hessen wurde die Beachtung des Erlasses empfohlen. Doch was passiert, wenn Preisgleitklauseln gleichwohl nicht Teil der Vergabeunterlagen werden? Damit hatte sich u.a. die Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 12.07.2022- VK 3-24/22) zu befassen.
In der Sachverhaltskonstellation hatte ein öffentlicher Auftraggeber ein EU-weites Offenes Verfahren für Rohbauarbeiten zur Sanierung eines Polizeipräsidiums bekanntgemacht. Die Angebotsfrist endete am 04.03.2022. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Infolge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine kam es im Laufe der Angebotsphase zu starken Preissteigerungen bezüglich verschiedener Rohstoffe. Ein Bieter wurde im Rahmen der Angebotswertung ausgeschlossen. Nach erfolgloser Rüge stellte dieser Bieter einen Nachprüfungsantrag und machte u.a. geltend, dass die fehlende Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln vergaberechtswidrig sei, da zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe die Preisentwicklung wesentlicher Baumaterialen aufgrund der Marktsituation nicht kalkulierbar war.
Der Bieter hatte Erfolg! Die Vergabekammer leitete ihre Sichtweise (ähnlich wie schon die VK Thüringen, Beschluss vom 03.06.2022- Az. 5090-250-4002/779) jedoch weder aus dem Erlass des Bundes noch des Landes NRW her (diese würden keine bieterschützenden Normen darstellen, sondern würden nur die unmittelbaren Adressaten des Erlasses binden), sondern stützte ihre Sichtweise auf die Vorschrift des § 7 Abs.1 Nr.3 EU VOB/A, die gerade auch Risiken in der Zeit nach Vertragsschluss erfasse. Hiernach dürfe Bietern kein ungewöhnliches Wagnis auferlegt werden für Umstände und Ereignisse, auf die sie keinen Einfluss hätten und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen nicht im Voraus abschätzbar seien. Es sei lediglich zulässig, Bietern gewöhnliche Wagnisse wie etwa die Beschaffenheit und Finanzierbarkeit von Materialien oder Preisrisiken, die dem Bieter in dem jeweiligen Marktsegment obliegen und vertragstypisch seien, aufzuerlegen; dies gehöre gerade zum Wesen der Privatautonomie.
Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation noch zumutbar sei, ergäbe sich nach Abwägung der Interessen des Bieters und des Auftraggebers im jeweiligen Einzelfall: Hier sei es dem Auftraggeber möglich und zumutbar gewesen, dem Bieter mittels einer Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln entgegenzukommen.
Ob ein Anspruch des Bieters im Übrigen auf § 9d VOB/A EU hergeleitet werden könnte, musste die Vergabekammer nicht mehr prüfen. Hiernach sind kann eine angemessene Änderung der Vergütung in den Vertragsunterlagen vorgesehen werden, wenn wesentliche Änderungen der Preisermittlungsgrundlagen zu erwarten sind.
Mit der Frage, ob es auch ein Verbot der Auferlegung eines ungewöhnliches Wagnisses in den Vorschriften der VgV (die für Liefer- und Dienstleistungsaufträge einschlägig ist) und der SektVO (die von sog. Sektorenauftraggebern für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge anzuwenden ist) gibt, musste sich bislang wohl noch keine Vergabekammer im aktuellen Kontext befassen. Dort gibt es (im Übrigen ebenso wenig wie in der UVgO) eine Vorschrift wie in § 7 Abs.1 Nr. 3 VOB/A. Die Erlasse des Bundes und der Länder haben soweit ersichtlich auch nur Baumaßnahmen im Blick. Allerdings dürfte ein solches Verbot durchaus aus dem Gebot der Gleichbehandlung und Transparenz sowie des Prinzips des fairen Wettbewerbs hergeleitet werden können. Insoweit hatte jedenfalls schon einmal das OLG Dresden (Beschluss vom 02.08.2011- Verg 4/11) beanstandet, dass der Bieter einen Einheitspreis je Tonne für eine Streusalzmenge von ca. 18.000 t kalkulieren musste, ohne dass es eine Mindestabnahmemenge gegeben hätte. Das Salz (Mindestliefermenge 125 t) wäre aber innerhalb von 48 Stunden ab Bestellung bereitzustellen gewesen. In dieser Situation wurde auch durch das OLG ein ungewöhnliches Wagnis angenommen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Sichtweise auch in anderen Konstellationen geteilt wird.
Bis dahin kann Auftraggebern (sollten Stoffe zu verwenden sein, die von der Preisdynamik berührt sind) unabhängig von der Bindung an einen Erlass neben der Verwendung von Preisgleitklauseln nur die Möglichkeit der Durchführung einer Markterkundung sowie ggf. die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb einschließlich der Durchführung indikativer Angebotsrunden (zur Klärung der Frage, welche Stoffe Gegenstand einer Preisgleitklausel werden sollen und zur Vermeidung formaler Ausschlussgründe in Folge fehlerhafter Angaben bei Verwendung der Formblätter 225 und 225a des VHB) empfohlen werden.
Übernahme eines Vertrages aus Insolvenzmasse muss nicht ausgeschrieben werden!
Mit der Frage, ob ein Rahmenvertrag von einem in Insolvenz befindlichen Unternehmen auf ein anderes Unternehmen ohne Ausschreibung übertragen werden darf, hatte sich der EuGH (Urt. v. 03.02.2022, Rs. C-461/20) zu befassen.
Im Jahr 2016 hatte ein schwedischer Auftraggeber eine Rahmenvereinbarung an ein Unternehmen vergeben. In dem Verfahren hatten sich auch zwei weitere Unternehmen beteiligt, deren Eignung auch bejaht worden war. Ein Jahr später wurde das beauftragte Unternehmen insolvent. Eine Fortführung des Unternehmens war nicht möglich. Im Zuge der Abwicklung übertrug er die noch nicht abgelaufene Rahmenvereinbarung an eines der beiden weiteren, am ursprünglichen Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen. Hiergegen wandte sich das dritte Unternehmen, das ebenfalls damals Bieter war. Es war der Meinung, dass eine „Umstrukturierung“ im Sinne des Art. 72 Abs. 1 lit. d Ziff. ii der Richtlinie 2014/24/EU voraussetze, dass vom insolventen Unternehmen selbst noch etwas „übrigbleibe“, sodass der neue Auftragnehmer an die Stelle des ursprünglichen Unternehmens träte. Die bloße Übertragung von Rechten und Pflichten aus einer zivilrechtlichen Vereinbarung reiche nicht aus. Der EuGH hatte hierüber auf die Vorlagefrage eines schwedischen Gerichts zu entscheiden.
Die entsprechende Vorschrift, die die Richtlinienvorschrift im Wesentlichen wortgleich in deutsches Recht umsetzt, ist in § 132 Abs.2 Nr. 4 lit. b.) GWB enthalten:
„Unbeschadet des Absatzes 1 ist die Änderung eines öffentlichen Auftrags ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn (…) ein neuer Auftragnehmer den bisherigen Auftragnehmer ersetzt (…) aufgrund der Tatsache, dass ein anderes Unternehmen, das die ursprünglich festgelegten Anforderungen an die Eignung erfüllt, im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung, wie zum Beispiel durch Übernahme, Zusammenschluss, Erwerb oder Insolvenz, ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers tritt, sofern dies keine weiteren wesentlichen Änderungen im Sinne des Absatzes 1 zur Folge hat.“
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass das (vollständige) Ersetzen eines ursprünglichen Auftragnehmers durch einen anderen Auftragnehmer zwar grundsätzlich eine wesentliche Vertragsänderung darstellt. Dies müsse in Anwendung des Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatzes zu einem neuen Vergabeverfahren führen, bevor der neue Vertrag geschlossen werden kann. Hier lägen allerdings die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach der o.g. Regelung der Richtlinie vor: Ein neuer Auftragnehmer kann hiernach im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung – einschließlich Übernahme, Fusion, Erwerb oder Insolvenz – ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers treten.
Der Begriff der „Unternehmensumstrukturierung“ umfasse zwar auch den Fall, dass das ursprüngliche Unternehmen teilweise fortbestünde (dies legten die Begriffe Übernahme, Fusion und Erwerb nahe). Der Fall der – ebenfalls genannten- Insolvenz erfasse aber eben gerade auch die vollständige Abwicklung des Unternehmens und daher die „Verwertung“ einzelner Vereinbarungen. Dies folge u.a. aus dem 110. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU, da dort die Insolvenz vorbehaltlos als eines der Beispiele für strukturelle Veränderungen beim ursprünglichen Auftragnehmer angeführt werde, die den dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz nicht entgegenstünden. Im Übrigen diene die hier einschlägige Vorschrift der Richtlinie gerade dazu, Flexibilität in außergewöhnlichen Situationen zu schaffen. Daher bestehe kein Anlass, zwischen Fällen, in denen die Geschäftstätigkeit fortgeführt wird und Konstellationen, in denen diese – wie hier- eingestellt wird, zu unterscheiden.
Voraussetzung bleibt aber (was § 132 Abs.2 Nr. 4 lit. b.) GWB auch explizit fordert) , dass das für die Beauftragung vorgesehene Unternehmen auch einer Eignungsprüfung anhand der ursprünglichen Kriterien unterzogen und die Prüfung positiv beendet wurde.
Angesichts einer drohenden „Insolvenzwelle“ bei Unternehmen kann die Entscheidung durchaus noch relevant werden, gerade um in zeitkritischen Situationen die schnelle Fortführung von Verträgen sicherzustellen. Da die Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Rostock, Beschluss vom 11.11.2021- 17 Verg 4/21) auch bei sog. „Dringlichkeitsvergaben“ die Einholung von mindestens drei Angeboten verlangt, kann diese Entscheidung des EuGH hier durchaus für eine gewisse Verschlankung des Prozesses, jedenfalls als Teil einer ansonsten stets zu empfehlenden Gesamtstrategie, bei der auch das sog. 20 %- Kontingent (§ 3 Abs.9 VgV, § 2 Abs.9 SektVO) unter bestimmten Voraussetzungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen kann, sorgen.
EuGH prüft nun auch Unterschwellenvergaben – unter Umständen!
Rechtlich ziemlich spektakulär war auch eine Entscheidung des EuGH vom 16.06.2022 (Az. C-376/21). Der EuGH befasste sich hierbei mit der Frage, ob und inwieweit ein Auftraggeber mit einem einzigen Unternehmen verhandeln darf, nachdem in einem offenen Verfahren mangels annehmbarer Angebote kein Zuschlag erfolgen konnte. Quasi unbemerkt legte der EuGH dabei auch Vorschriften aus dem bulgarischen Unterschwellenrecht aus, was grundsätzliche Fragen zur Reichweite der Zuständigkeit des Gerichts aufwarf.
Konkret war über eine Konstellation zu entscheiden, in der eine bulgarische Gemeinde Einrichtungsgegenstände in vier Losen ausschrieb, aber nur in einem Los ein Angebot erhielt. Der geschätzte Auftragswert überschritt den damals einschlägigen EU-Schwellenwert von damals 209.000 Euro (netto) (aktuell: 215.000 Euro netto) nicht, weshalb der Anwendungsbereich von EU-Vergaberecht nicht eröffnet war, sondern lediglich sog. Haushaltsvergaberecht (das vor allem dem Grundsatz des sparsamen Umgangs mit öffentlichen Haushaltsmitteln Rechnung trägt und daher haushaltsrechtlich (BHO, LHO) geprägt ist, aber gerade nicht Vergaberecht im eigentlichen Sinne darstellt und auch nicht der Umsetzung der EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU dient) angewandt wurde. Im vorliegenden Fall wurde daher das Bulgarische Vergabegesetzt (das dort für Unterschwellen- und EU-Vergaberecht gilt) angewandt, in Deutschland wäre dann v.a. die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) relevant.
Das vorliegende Verfahren wurde nach dem bulgarischen Vergabegesetz eingestellt (dies entspräche der Aufhebung gem. § 48 Abs.1 Nr. 3 UVgO), da der Angebotspreis deutlich über dem geschätzten Auftragswert lag. Anschließend vergab die Gemeinde den Auftrag an ein Unternehmen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Danach verhandelt nach der bulgarischen Regelung der öffentliche Auftraggeber die Vertragsklauseln mit einer oder mehreren genau festgelegten Personen ohne neue, vorherige Veröffentlichung. Dieses Vorgehen der Gemeinde wurde mit einer Finanzkorrektur in Höhe von 10 % sanktioniert. Hiergegen wandte sich die Gemeinde, das Oberste Verwaltungsgericht legte hieraufhin Vorlagefragen bei dem EuGH vor.
Es wurde um Prüfung gebeten, ob die EU-Haushaltsordnung auf die Vergabe Anwendung findet. Nur wenn diese Frage bejaht werde, wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Aufforderung nur eines Unternehmens mit der EU-Haushaltsordnung vereinbar sei.
Der EuGH verneinte die erste Vorlagefrage. Die EU-Haushaltsordnung finde keine Anwendung, denn es handle sich vorliegend bei der Gemeinde nicht um ein Organ der EU oder eine EU-Agentur, die Aufträge vergäbe.
Damit habe sich jedoch die zweite Vorlagefrage nicht erledigt. Spannend war insoweit, dass der EuGH zwar selbst feststellte, dass der Schwellenwert nicht überschritten war. Nicht einmal erwähnenswert schien ihm offenbar, dass auch (mit Blick auf den geringen Auftragswert im Ergebnis nachvollziehbar) sog. Binnenmarktrelevanz nicht vorlag. Bei letzterer besteht – verkürzt gefasst- beispielsweise wegen des Auftragsvolumens oder des (grenznahen) Orts der Auftragsdurchführung die Pflicht, Primärrecht der EU und damit zumindest allgemeine Gleichbehandlungsprinzipien, Verhältnismäßigkeit und Transparenz anzuwenden.
Gleichwohl leitete der EuGH seine Zuständigkeit mit folgender Begründung her:
„Aus Art. 49 Abs. 2 des Gesetzes über die europäischen Struktur- und Investitionsfonds, mit dem die Richtlinie 2014/24 wortgetreu in bulgarisches Recht umgesetzt worden ist, ergibt sich nämlich, dass das Vergabegesetz unabhängig vom Auftragswert gilt. Wenn sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung von Sachverhalten, die nicht in den Anwendungsbereich des betreffenden Unionsrechtsakts fallen, unmittelbar und unbedingt nach den in diesem Rechtsakt getroffenen Regelungen richten, besteht aber ein klares Interesse der Union daran, dass die aus diesem Rechtsakt übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden. Dies ermöglich nämlich, künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden und zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallenden Sachverhalte gleichbehandelt werden.“
Folgerichtig legte der EuGH Artikel 32 Abs. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 2014/24 (die streng genommen auf den Sachverhalt wegen des nicht überschrittenen EU-Schwellenwerts gar nicht anwendbar wäre) aus, der seine Umsetzung bei uns in § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV (einer Vorschrift aus dem EU-Vergaberecht) gefunden hat. Er stellt fest, dass ein Angebot ungeeignet sei, wenn es unannehmbar im Sinne des Artikel 26 Abs. 4 Buchstabe b) RL 2014/24 ist, sei. Dies träfe auf ein unwirtschaftliches Angebot wie dem vorliegenden zu.
Weiterhin sei es zulässig gewesen, dass die Gemeinde nur mit einem Unternehmen verhandelt habe. In einer solchen Konstellation bildeten das vorherige offene Verfahren und das anschließende Verhandlungsverfahren nämlich ein untrennbares Ganzes. Wirtschaftsteilnehmer, die sich nicht im vorherigen Verfahren (das die identischen Bedingungen zum Gegenstand hatte) beteiligt hätten, hätten anschließend keinen Anspruch auf Beteiligung am Verhandlungsverfahren. Ihnen habe es schließlich zuvor freigestanden, ein Angebot abzugeben und damit die Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit in Anspruch zu nehmen.
Einschränkend weist der EuGH darauf hin, dass eine solche Direktvergabe nur zulässig sei, wenn der bezuschlagte Preis dem Marktpreis entspräche und dem geschätzten Auftragswert nicht übersteige.
Soweit sich der EuGH vorliegend für zuständig erklärte, war die Entscheidung ziemlich überraschend, wenn auch jedenfalls das Motiv des EuGH, bei direkten Verweisungen bzw. wortgetreuen Umsetzungen von EU-Richtlinien in nationales Recht für eine einheitliche Auslegung zu sorgen, jedenfalls praktisch nachvollzogen werden kann. Dies kann durchaus gravierende Folgen in Deutschland haben: Sowohl die UVgO als auch die VOB/A sind sehr stark an EU-Vorgaben angelehnt, sodass hier durchaus in Betracht kommt, dass in Schadensersatzkonstellationen oder fördermittelrechtlichen Streitigkeiten Amts-, Land- und Verwaltungsgerichte den EuGH um Auslegung nationaler Haushaltsvorschriften ersuchen müssen. Wie dann damit umgegangen wird, dass hier allerdings (anders als in dem vorliegenden Sachverhalt) keine durchgängige 1:1 Umsetzung der Richtlinie erfolgt ist und zudem formal gesonderte Regelungen für den Unterschwellenbereich bestehen, scheint offen.
Im Ergebnis war die Entscheidung, die Verhandlung mit nur einem Unternehmen für zulässig zu erklären, nachvollziehbar. Wie der Auftraggeber im Einzelnen mit dem Hinweis umgehen soll, dass die Direktvergabe nur zulässig sei, wenn der Preis dem Marktpreis entspräche und der geschätzte Auftragswert nicht überstiegen werden dürfe, bleibt angesichts dynamischer Kostenentwicklungen abzuwarten.
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