Ende der temporären Verkürzung des Prognosezeitraums bei der Überschuldungsprüfung

Seit dem 9. November 2022 befindet sich das sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) in Kraft. Dieses Gesetz verfolgte im Rahmen des dritten Entlastungspakets der Bundesregierung das Ziel, Erleichterungen für Unternehmen zu schaffen.

Über die im Rahmen des SanInsKG umgesetzten temporären Modifizierungen im Hinblick auf (i) den Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO), (ii) die Anhebung der Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung sowie (iii) die Verkürzung der Planungszeiträume für die Erstellung von Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen hatten wir bereits in unserem Blogbeitrag vom 11.10.2022 informiert.

In der Restrukturierungs- und Insolvenzrechtspraxis als besonders bedeutsam hat sich zweifelsohne die bis zum 31. Dezember 2023 befristete Verkürzung des Prognosezeitraums für die im Rahmen der Überschuldungsprüfung (§ 19 InsO) anzustellende Fortbestehensprognose von zwölf auf vier Monate gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SanInsKG herausgestellt.

Gemäß der Grundregel des § 19 Abs. 2 S. 1 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne setzt daher nach dem maßgeblichen Überschuldungsbegriff neben dem Vorliegen einer bilanziellen Überschuldung das Fehlen einer positiven Fortbestehensprognose voraus. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt es sich bei der Fortbestehensprognose im Wesentlichen um eine reine Prognose hinsichtlich der zukünftigen Zahlungsfähigkeit; die Ertragsfähigkeit des Unternehmens ist demgegenüber nicht maßgeblich.

Da gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SanInsKG – sofern diese Regelung im konkreten Fall tatsächlich Anwendung fand – bereits dann von einer positiven Fortbestehensprognose und somit nicht von einer insolvenzrechtlichen Überschuldung im Sinne des § 19 InsO auszugehen war, soweit die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit in den nächsten vier Monaten anstelle in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich war, führte dies zu einer spürbaren Abmilderung des Insolvenzgrundes der Überschuldung.

Allerdings ist im Hinblick auf die temporäre Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung bereits vor dem Ende des Geltungszeitraums zum 31. Dezember 2023 aus Sicht der Geschäftsleitung höchste Vorsicht geboten.

Denn in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird verbreitet davon ausgegangen, dass bereits ab dem 1. September 2023 – und nicht erst ab dem 01. Januar 2024 – wieder ein zwölfmonatiger Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung anzusetzen ist. Hintergrund dieser Sichtweise ist die etwas kryptische Gesetzesbegründung, in welcher unter anderem in Bezug auf § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SanInsKG die Rede davon ist, dass die Regelung schon vor dem Ablauf der gesetzlich angeordneten Geltungsdauer „einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen“ könnte. Insoweit sei – so die Gesetzesbegründung – zu beachten, dass es im Rahmen der Fortbestehensprognose auch zu berücksichtigen sei, wenn weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer bereits feststehe, dass es unmittelbar nach dem Ablauf der Geltungsdauer von § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SanInsKG unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO zu einer Überschuldung kommen wird.

Ungeachtet der in rechtsdogmatischer Hinsicht durchaus spannenden Frage, ob diese Auffassung zutreffend ist, sollte insbesondere zur Vermeidung der ansonsten drohenden Haftungsrisiken unseres Erachtens bereits ab dem 1. September 2023 wieder zur zwölfmonatigen Betrachtungsweise für die Zwecke der Überschuldungsprüfung zurückgekehrt werden. Andernfalls drohen aus Sicht der Geschäftsleitung erhebliche Haftungsrisiken sowohl in straf- als auch in zivilrechtlicher Hinsicht, insbesondere im Hinblick auf § 15a InsO (Insolvenzantragspflichten) und § 15b InsO (Zahlungsverbote).

Für die Geschäftsleitung bedeutet dies, dass jedenfalls in Krisensituationen die Geschäftsleitung eine Liquiditätsplanung für einen Zeitraum von zwölf Monaten vorhalten sollte, um das Bestehen einer positiven Fortbestehensprognose erforderlichenfalls (etwa in Haftungsprozessen) belegen zu können. Im Übrigen ist der Geschäftsleitung aber ohnehin vor dem Hintergrund von § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG anzuraten, Maßnahmen für Krisenfrüherkennung zu implementieren, um ihrer Pflicht zur Überwachung bestandsgefährdender Entwicklungen nachkommen zu können.

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