Kommission kündigt im 5. Sanktionspaket allgemeinen Ausschluss russischer Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen an!
In ihre Rede vom 05.04.2022 hat die Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigt, dass im 5. Sanktionspaket auch ein allgemeines EU-Verbot der Teilnahme russischer Unternehmen an der Vergabe öffentlicher Aufträge in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden soll. Damit soll verhindert werden, dass europäische Steuergelder – in welcher Form auch immer – nach Russland fließen.
Wenn diese Sanktionen so in Kraft treten, würde die EU über eine Verordnung, die unmittelbar verbindlich in den Mitgliedsstaaten gilt, erstmalig einen am Sitz eines Unternehmens anknüpfenden Ausschlussgrund einführen. Bis jetzt gab es zumindest nach deutschem Vergaberecht keine Möglichkeit, Unternehmen aus bestimmten Drittstaaten auszuschließen (siehe auch Blogbeitrag vom 10.03.2022). Abzuwarten bleibt, wie genau die Regelung formuliert sein wird, vor allem, ob alle russische Unternehmen von der Auftragssperre betroffen sind, oder nur solche, die auf der Sanktionsliste stehen.
Dass nun der Bedarf für eine solche klare Regelung gesehen wird, zeigt, dass auf Grundlage der bisherigen Sanktionsverordnungen ein Ausschluss von (gelisteten) russischen Unternehmen aus Vergabeverfahren nicht so eindeutig möglich war.
Es gibt für die Sanktionen gegen Russland und russische natürliche und juristische Personen seit 2014 zwei Grund-Verordnungen, eine für sektorale Maßnahmen (VO 833/2014) und eine für Personenlistungen (VO 269/2014). Diese beiden Verordnungen werden seitdem durch Änderungs- und Durchführungsverordnungen aktualisiert und ergänzt. Die neuen EU-Listungen, einschließlich der erfolgten Listungen russischer Banken, sind den Anhängen der Durchführungsverordnungen (EU) 2022/332, 2022/261 und 2022/260 zu entnehmen. Mit den Verordnungen (EU) 2022/259 und 2022/330 wurden zudem inhaltliche Änderungen im Rechtsrahmen für Listungen vorgenommen. Die neuen beschlossenen Maßnahmen mit Bezug auf den Finanzsektor finden sich in den Verordnungen 2022/262, 2022/328 und 2022/334.
Nach Art. 2 Abs. 2 der VO 269/2014 dürfen den in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder den dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen „weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen“.
Fraglich ist, ob sich ein zwingender Ausschlussgrund unmittelbar aus den Verordnungen ergibt. Die Verordnungen stellen rechtliche Verpflichtungen dar, an denen jeder öffentliche Auftraggeber unmittelbar gebunden ist. Ein öffentlicher Auftraggeber darf danach keine Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen aus der Sanktionsliste unterhalten bzw. begründen. Andererseits sind die zwingenden Ausschlussgründe abschließend in § 123 GWB geregelt. Wegen dort nicht genannten, aus Sicht des Auftraggebers ähnlich gravierenden Fehlverhaltens darf ein Ausschluss nicht mehr erfolgen. Die Tatbestände sind nach allgemeiner Ansicht nicht analogiefähig. Das bedeutet zwar nicht, dass sich aus anderen Rechtsvorschriften /Gesetzen nicht auch noch (gesetzlich normierte) Ausschlussgründe ergeben dürfen. So stellt 124 Abs. 2 GWB zum Beispiel klar, dass es spezialgesetzliche geregelte Ausschlussgründe neben § 124 Abs. 1 gibt. Diese Öffnung bezieht sich allerdings bisher nur auf fakultative Ausschlussgründe. Ob dies auch bei zwingenden Ausschlussgründe greifen würde, wird nirgends diskutiert. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere die in § 123 Abs. 1 GWB aufgeführten Straftatbestände immer nur greifen, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung vorliegt. Auch eine spezialgesetzliche Regelung müsste wohl ähnlich hohe Anforderungen stellen, um verhältnismäßig zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es sicherlich problematisch, die angekündigte Auftragssperre nicht nur auf die gelisteten – sondern auf alle russische Unternehmen ausdehnen.
Auf Grundlage des bisherigen Verordnungstexte stellte sich weiterhin die Frage, ob gelistete Unternehmen auch als Nachunternehmer ausgeschlossen werden können. Der Auftraggeber unterhält bzw. begründet zu den Nachunternehmen keine Geschäftsbeziehungen, sondern nur der Bieter. Allerdings verweist der Verordnungstext in Art. 2 Nr. 2 (siehe oben) darauf, dass den gelisteten Unternehmen auch nicht mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen dürfen. Damit könnten unter Umständen auch die Nachunternehmer erfasst sein. Allerdings ist offen, was genau unter „mittelbar“ zu verstehen ist. Ob die angekündigten neuen Maßnahmen so weitreichend sind, dass nicht nur Bieter, sondern auch Nachunternehmer (und alle weiteren Unternehmen in der Lieferkette) erfasst sind, bleibt abzuwarten.
Im Zweifelsfall könnte in Hinblick auf die Nachunternehmer mindestens ein fakultativer Ausschlussgrund wegen schwerer Verfehlungen vorliegen, wenn es sich um Unternehmen handelt, die auf der Sanktionsliste stehen. Danach können Unternehmen ausgeschlossen werden, die im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben. Liegt ein solcher Ausschlussgrund beim Nachunternehmer vor, kann der Auftraggeber verlangen, dass dieser ausgetauscht wird (§ 36 Abs. 5 VgV). Es dürfte wohl davon auszugehen sein, dass der Grund für die Aufnahme in die Sanktionsliste, nämlich die (wohl) nachweisliche Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs bzw. der russischen Regierung als schwere berufliche Verfehlung angesehen werden kann. Für russische Unternehmen, die nicht gelistet sind, dürfte man diesen Ausschlussgrund hingegen nicht heranziehen können.
Faktisch würde der öffentliche Auftraggeber auch bei einem fakultativen Ausschlussgrund immer zum Ausschluss kommen, da eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben sein dürfte: Wenn er nicht ausschließt, würde er gegen die Verordnung verstoßen.
Ein Beitrag von