Kununu – Ende der Anonymität oder alles beim Alten?
Das OLG Hamburg hat kürzlich eine vielbeachtete Entscheidung erlassen (Beschluss vom 8.2.2024 – 324 O 559/23). In dieser Entscheidung wurde das Arbeitgeber-Bewertungsportal „Kununu“ dazu verpflichtet, zwei Bewertungen zu löschen, weil die Identität der Rezensenten nicht offengelegt wurde. Antragsteller war das bewertete Unternehmen, welches gegen Kununu einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt hatte. Während die erste Instanz diesen Antrag noch zurückwies, gab das OLG Hamburg dem bewerteten Unternehmen auf seine sofortige Beschwerde hin Recht.
Der übliche Ablauf beim Angriff von Bewertungen
Rechtsstreitigkeiten um Bewertungen in Online-Portalen sind nichts Außergewöhnliches. Regelmäßig gehen Unternehmen gegen (unliebsame) Bewertungen vor, sei es von Kunden (z. B. bei Produktbewertungen) oder – wie im Fall von Kununu – von (ehemaligen) Mitarbeitern.
Die Auseinandersetzung beginnt meist damit, dass der Bewertete gegenüber dem Online-Portal rügt, dass es überhaupt einen geschäftlichen Kontakt zwischen dem Bewerteten und dem (bislang anonym gebliebenen) Rezensenten gegeben hat. Eine solcher Kontakt ist zwingende Voraussetzung für eine zulässige Bewertung. Mit anderen Worten: Das Unternehmen stellt in Frage, ob es sich um eine echte Bewertung handelt. Sofern dies nicht der Fall ist, steht dem bewerteten Unternehmen ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht gegen das Online-Portal zu. Die weitere Verbreitung der Bewertung ist dann zu stoppen, die Bewertung also zu löschen.
Sofern diese Rüge, also der Vorwurf einer Fake-Bewertung, erhoben wird, löst dies Prüfpflichten des Online-Portals aus. Dieses hat sich dann an den Rezensenten zu wenden und ihn aufzufordern, Stellung zu nehmen und ggf. Nachweise für den geschäftlichen Kontakt vorzulegen. Tut er dies nicht, ist die Bewertung zu löschen.[1] Derartige Nachweise sind bspw. Kaufbelege (im Falle von Produktbewertungen), Buchungsbelege (im Falle von Hotelbewertungen) oder etwa Gehaltsabrechnungen (bei Arbeitgeberbewertungen).
Besonderheit des Beschlusses des OLG Hamburg
Sofern eine solche Streitigkeit vor Gericht landet, war es im Rahmen der Prüfpflicht des Online-Portals bislang ausreichend, wenn derartige Nachweise dem Online-Portal und schließlich dem bewerteten Unternehmen in anonymisierter Form vorgelegt wurden. So entschied auch das erstinstanzliche LG Hamburg im Falle von Kununu.
Das OLG Hamburg hat aber nun im Eilverfahren entschieden, dass der Rezensent so individualisiert werden muss, dass das Unternehmen überprüfen kann, ob es einen geschäftlichen Kontakt gab. Anonymisierte Tätigkeitsnachweise sollen dafür gerade nicht ausreichend sein.
Der Entscheidung lässt sich auch die Begründung entnehmen, dass es dem Unternehmen nur bei Kenntnis der Identität des Rezensenten möglich ist, sich (z. B. mit einer Antwort ebenfalls auf Kununu) in der Sache zu positionieren. Es reicht dem OLG Hamburg zufolge deshalb auch nicht aus, wenn das Online-Portal sich selbst anhand von (auch nichtanonymisierten) Nachweisen darüber versichert, dass es sich um eine echte Bewertung handelt und diese Tatsache dann gegenüber dem Unternehmen versichert. Der Bewertete muss selbst (anhand der Identität des Rezensenten) prüfen können, ob es einen geschäftlichen Kontakt gab.
Das Ende anonymer Bewertungen?
Kununu selbst hat in einer Pressemitteilung bereits angekündigt, keinerlei Klarnamen herauszugeben und die bislang vorläufige Entscheidung des OLG Hamburg im Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen. Im konkreten Fall hat sich Kununu daher wohl für die (vorläufige) Löschung der Bewertungen entschieden, um die Herausgabe der Klarnamen zu vermeiden. Mit deutlichen Worten kritisiert Kununu die Entscheidung des OLG Hamburg als „abwegig und falsch“[2] und verweist auf die Rechtsprechung des BGH für Bewertungsplattformen.
Tatsächlich hat der BGH mehrfach, zuletzt im Jahre 2022 zu Hotelbewertungen[3], entschieden, dass Bewertungen wegen § 19 Abs. 2 TTDSG in rechtlich zulässiger Weise anonym abgegeben werden können. § 19 Abs. 2 TTDSG sieht vor, dass die Nutzung von Telemedien anonym möglich sein muss, soweit dies „technisch möglich und zumutbar ist“.
Heißt das aber zugleich auch, dass auch jede anonym abgegebene Bewertung Bestand haben muss?
Von der Frage, wie eine Bewertung abgegeben werden kann, lässt sich nämlich die hier relevante Frage trennen: Welche Prüfpflichten hat ein Online-Portal in Bezug auf gerügte Bewertungen und schließen diese – unter bestimmten Voraussetzungen – die Offenlegung der Identität des Rezensenten ein? Anders formuliert: Verstößt die Sichtweise des OLG Hamburg, die sich mit § 19 Abs. 2 TTDSG leider nicht auseinandersetzt, gegen diese Norm?
Für einen Verstoß spricht, dass die Entscheidung des OLG Hamburg praktisch zu einer Umgehung von § 19 Abs. 2 TTDSG führt. Denn ein Rezensent auf Kununu müsste dann befürchten, dass das Online-Portal nichtanonymisierte Nachweise verlangt, die dann dem bewerteten Arbeitgeber weitergeleitet werden. Allerdings könnte ein Rezensent immer auch den Weg der Löschung wählen, indem er keinerlei Nachweise übermittelt – und so seine Anonymität bewahren.
Für einen Einklang mit § 19 Abs. 2 TTDSG spricht hingegen eine enge Wortlautauslegung. Man könnte unter die „Nutzung“, welche die Norm in anonymer Form gebietet, nur das Verfassen von Bewertungen subsumieren, nicht aber deren Bestand. Anders formuliert: § 19 Abs. 2 TTDSG regelt zwar, dass Bewertungen anonym abgegeben werden können, nicht aber, dass es für den Bestand der Bewertung nicht auch erforderlich sein kann, seine Identität offenzulegen. Die Folge dieser Sichtweise ist, dass § 19 Abs. 2 TTDSG für die Frage, ob eine anonyme Bewertung (immer) bestehen bleiben muss, nicht greift – weshalb kein Verstoß vorliegt.
Ausblick
Es ist daher anzuzweifeln, ob die Entscheidung des OLG Hamburg wirklich so eklatant gegen die Rechtsprechung des BGH verstößt, wie Kununu es behauptet. Kununu ist aber insofern rechtzugeben, als die Anonymität von Bewertungen natürlich ein hohes Schutzgut ist. Sofern die Entscheidung des OLG Hamburg „Schule macht“ ist davon auszugehen, dass nicht nur die Anzahl von Bewertungen zurückgehen würde. Es ist auch damit zu rechnen, dass die abgegebenen Bewertungen hier und da auch etwas milder ausfallen. Denn ein Rezensent müsste vor allem im Falle einer kritischen Bewertung stets damit rechnen, dass er mit der Frage konfrontiert wird, ob er seine angegriffene Bewertung durch die Offenlegung seiner Identität „verteidigen“ will.
Nichtsdestotrotz sind auch die Interessen der Unternehmen nicht zu vernachlässigen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, Fake-Bewertungen aufzudecken, auf als unberechtigt empfundene Bewertungen Stellung zu nehmen oder gar gegen unwahre Tatsachenbehauptungen vorzugehen. Die Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen sind oftmals begrenzt, denn es ist ihnen meist nicht möglich, die Identität des Rezensenten herauszufinden (um zivilrechtliche Ansprüche gegen ihn geltend zu machen). So greift etwa der der Auskunftsanspruch nach § 21 Abs. 2 TTDSG nur bei strafbaren Inhalten und Bestandsdaten sind häufig ohnehin defizitär. Aus diesem Grund sind Unternehmen regelmäßig auf Löschungsanträge und Gegendarstellungen beschränkt.
Um dieser Interessenabwägung im Einzelfall gerecht zu werden könnte es daher sein, dass die künftige Rechtsprechung sich nicht per se für oder gegen die Anonymität entscheidet, sondern einen Mittelweg einschlägt: Vorstellbar ist etwa, dass es nicht generell zum Erhalt einer Bewertung erforderlich ist, dass die Identität offengelegt wird, sondern das Unternehmen dies nur in noch zu definierenden Ausnahmefällen bzw. Fallgruppen fordern kann.
Man könnte danach unterscheiden, was die Zielrichtung des die Bewertung angreifenden Unternehmens ist. Will es nur überprüfen, ob eine Bewertung „echt“ ist, also von einem (echten) Kunden oder Mitarbeiter stammt, dürften hierfür in aller Regel anonymisierte Nachweise ausreichend. Anders kann man es jedoch beurteilen, wenn das Unternehmen – z. B. im Falle von starken Anschuldigungen – eine Gegendarstellung veröffentlichen will und/oder in der Bewertung sehr spezifische, personenbezogene Vorgänge enthalten sind (und nicht nur Schilderungen über allgemeine Betriebsabläufe oder -ausstattungen). In diesen Fällen kann eine Überprüfung des geschäftlichen Kontakts oder eine Gegendarstellung ggf. nur dann sinnvoll möglich sein, wenn das bewertete Unternehmen die Identität des Rezensenten erfährt.[4]
Die Antwort auf die Frage, ob anonymisierte Nachweise ausreichen oder aber der Erhalt einer Bewertung die Offenlegung der Identität des Rezensenten erfordert, könnte daher – wie so häufig – zur Einzelfallentscheidung werden. In der Diskussion darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Rezensent in diesem Zusammenhang nie zur Offenlegung seiner Identität gezwungen werden kann, da es ihm stets freisteht, die Löschung seiner Bewertung zu akzeptieren – und eine neue zu verfassen. Das Ende der Anonymität hat die Entscheidung des OLG Hamburg damit vermutlich nicht eingeleitet, aber es könnte dennoch sein, dass nicht alles beim Alten bleibt…
[1]BGH, Urteil vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, Rn. 31.
[2]https://news.kununu.com/presseinformation/interview-mit-kununu-ceo-nina-zimmermann-zur-entscheidung-des-olg-hamburg/
[3]BGH, Urteil vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, Rn. 30. m. w. N.
[4] In diese Richtung geht auch die Argumentation im Beschluss des OLG Hamburg vom 8.2.2024 – 324 O 559/23, Rn. 13.
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