Reichweite von Aufklärungspflichten bei der Offenlegung von Informationen bei M&A Transaktionen

Besprechung der Entscheidung des BGH vom 15. September 2023 (V ZR 77/22)

In einem aktuellen Urteil (BGH, Urt. v. 15.09.2023 – V ZR 77 / 22) hat sich der Bundesgerichtshof („BGH“) mit den Aufklärungspflichten des Verkäufers gegenüber dem Käufer bei M&A-Transaktionen beschäftigt. Dabei ging es insbesondere um die Anforderungen an eine haftungsbegrenzende Offenlegung in (virtuellen) Datenräumen bei Durchführung einer Legal Due Diligence („DD“).

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass trotz Offenlegung von Informationen im Datenraum grundsätzlich eine (darüber hinausgehende) Aufklärungspflicht des Verkäufers bestehen kann. Dies sei unter anderem abhängig von der Bedeutung der jeweiligen Information für die Transaktion sowie die Modalitäten und dem Zeitpunkt der Offenlegung im Datenraum.

Tatsächlicher Hintergrund

Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt bezog sich auf den Erwerb von Gewerbeeinheiten eines größeren Gebäudekomplex im Jahr 2019 unter Ausschluss der Sachmängelhaftung und Etablierung eines – wie in M&A-Transaktionen üblichen – vertraglichen Haftungsregime. Im Zuge der Vertragsverhandlungen gewährte der Verkäufer dem Käufer Zugang zu einem virtuellen Datenraum, der maßgebliche Informationen über das Kaufobjekt enthielt („VDR“). Am letzten Werktag vor Beurkundung des Kaufvertrags stellte der Verkäufer sodann das Protokoll einer Eigentümerversammlung in den VDR ein, ohne den Käufer hierauf gesondert hinzuweisen. Aus dem Protokoll ging das Risiko einer anteiligen Inanspruchnahme des Käufers hinsichtlich einer Sonderumlage für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum hervor. Etwa ein Jahr nach Abschluss des Kaufvertrags wurde der Käufer auf Zahlung der anteiligen Sonderumlage in Anspruch genommen. Hierauf erklärte der Käufer die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Urteil des BGH

Der BGH bejahte in diesem Zusammenhang einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs.1 , 311 Abs. 2 Nr.1 , 241 Abs. 2 BGB und demgemäß das Vorliegen einer Aufklärungspflichtverletzung durch den Verkäufer und stellte – in Einklang mit bisheriger Rechtsprechung – eher strenge Anforderungen an die Einhaltung von Aufklärungspflichten durch die Bereitstellung von Informationen im VDR:

1. Relevanz der jeweiligen Information

Im Hinblick auf die Aufklärungspflicht des Verkäufers führte der BGH aus, dass bei Vertragsverhandlungen zwar keine allgemeine Rechtspflicht bestehe, den anderen Teil über relevante Einzelheiten und Umstände zur Willensentschließung zu informieren. Vielmehr sei grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und müsse sich deshalb die für die Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und Risiko selbst beschaffen.

Allerdings verbleibt eine Aufklärungspflicht insoweit bestehen, als jede Vertragspartei den jeweils anderen Teil über die Umstände aufzuklären habe, die den Vertragszweck vereiteln und daher für die Entscheidung einer Vertragspartei von wesentlicher Bedeutung sein können, vorausgesetzt die Vertragspartei dürfe die Mitteilung redlicherweise erwarten.

Es ist demzufolge darauf abzustellen, wie relevant die jeweilige Information für die Kaufentscheidung ist. Handelt es sich um kommerziell entscheidende Aspekte (wie bspw. eine mögliche erhebliche Kostentragungspflicht aufgrund eines Defekts der Kaufsache), ist grundsätzlich von einer Aufklärungspflicht auszugehen.

2. Art und Weise der Bereitstellung im VDR

Zudem spiele die Art und Weise der Bereitstellung von Informationen eine maßgebliche Rolle dabei, ob den Voraussetzungen der Aufklärungspflicht Genüge getan ist. Wurde die Information an einem Ort im VDR offengelegt, an welchem der Käufer eine Offenlegung erwarten könne und der der Wichtigkeit der Information gerecht werde, sei die Aufklärungspflicht grundsätzlich erfüllt. Ebenso sei maßgeblich, ob dem Käufer ein ausreichendes Zeitfenster zur Verfügung stehe, um die Information zur Kenntnis zu nehmen und abschließend zu prüfen.

Für die berechtigte Erwartung des Verkäufers spiele hierbei insbesondere die – dem Verkäufer bekannte – Geschäftsgewandtheit des Käufers, Informationen im VDR selbst zu finden und zu analysieren, und ob es sich um ein Dokument handelt, das ein Käufer vor dem Erwerb im Regelfall auch ohne besondere Interessen an Einzelaspekten des Kaufgegenanspruchs durchsehen wird, eine entscheidende Rolle.

Im Hinblick auf die Ausgestaltung des VDR komme es etwa auf den Umfang der hochgeladenen Informationen, die zutreffende Bezeichnung und die systematische Ordnung des VDR an, sowie darauf ob ein Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion existiere. Zudem sei es relevant, ob und in welcher Frequenz der Käufer auf neu hochgeladenen Dokumente hingewiesen werde und ob der Käufer die Information gesondert angefordert bzw. zum Ausdruck gebracht hat, dass es für Ihn auf einen Umstand besonders ankommt. Handelt es sich etwa um einen Umstand, der für den Käufer von erheblicher Bedeutung ist und ist dieser aus den bereitgestellte Daten nicht ohne weiteres erkennbar, dem Verkäufer aber bekannt und unschwer zu offenbaren, dann kann der Käufer regelmäßig einen gesonderten Hinweis erwarten.

3. Durchführung einer DD

Die Anforderungen an die Einhaltung der Aufklärungspflicht des Käufers wird zudem weiter herabgesetzt, wenn eine DD durch professionelle Berater durchgeführt wurde. Die Durchführung einer DD alleine enthaftet allerdings keineswegs von der Aufklärungspflicht. Allerdings kann dies eine Schadensminderungspflicht des Käufers begründen. Soweit eine DD durchgeführt wird, der ein VDR zu Grunde liegt, sei eher zu erwarten, dass die eingestellten Unterlagen vollständig durchgesehen werden. Dies gelte insbesondere, wenn ein Käufer bei der Durchführung der DD von Experten beratend unterstützt werde. 

Praktische Erwägungen

Der BGH hat mit seinem Urteil wesentliche Grundsätze zu den Offenlegungs- und Aufklärungspflichten hinsichtlich verkäuferseitiger Informationen im Rahmen von M&A-Transaktionen aufgestellt. Diese weitgehend konsequenten Ausführungen sind in der rechtlichen M&A-Beratungspraxis wiederum an verschiedenen Stellen von Bedeutung und bilden heute bereits überwiegend die Marktpraxis ab: 

1. Grundsatz Fairly and Reasonably Disclosed als Maßstab der Rechtsprechung

Mit seiner Entscheidung über die erforderliche Qualität des VDR in Bezug auf Struktur und Darstellung hat der BGH weitgehend die oftmals in Unternehmsnkaufverträgen eingeführte Definition von “Fairly and Reasonably Dislcosed” (oftmals: “shall mean that a fact or circumstance constituting a guarantee claim is disclosed (i) in sufficient detail to enable an experienced purchaser with the relevant expertise to make a reasonably informed assessment of the nature and scope of the matter being disclosed and (ii) at a place (e.g. file, folder or section in the virtual data room) where the purchaser should have – as regards the content of the information – reasonably expected in the sense of (i) above such fact and circumstance to be disclosed.“) zum Standard der Einhaltung von Aufklärungspflichten gemacht. Damit dürfte es künftig (noch weniger) Argumente gegen die Aufnahme einer entsprechenden Definition im Unternehmenskaufvertrag zur Etablierung von Mindeststandards an eine wirksame Informationsoffenlegung mittels VDR geben.

2. Käufergarantie zur DD

Durch die Feststellung des Senats, dass der Umfang von Aufklärungspflichten (jedenfalls im Wege einer Schadensminderungspflicht) im Rahmen von M&A-Transaktionen auch von einer möglicherweise durchgeführten DD sowie den Fach- und Branchenkenntnissen des Käufers und seiner Berater abhängt, empfiehlt sich aus Verkäufersicht eine Käufergarantie über die Durchführung einer DD und der bestehenden Branchenkenntnis aufzunehmen. Dadurch bringt sich der Verkäufer im Streitfall über Art und Umfang einer DD sowie der Kenntnisse des Käufers in eine bessere Ausgangslage, da ansonsten die Durchführung und Qualität der DD durch den Verkäufer zunächst bewiesen werden müsste.

3. Transparente Gestaltung des Datenraums

Vor dem Hintergrund der Ausführungen des BGH empfiehlt es sich umso mehr Datenräume professioneller Anbieter zu nutzen und die Befüllung des jeweiligen VDRs durch Berater (Rechtsanwälte und/oder M&A-Berater) begleiten zu lassen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die jeweiligen Unterlagen in den richtig strukturierten Ordnern zur Verfügung gestellt und eine Bewertung nach Wichtigkeit vorgenommen werden, die den Anforderungen der Aufklärungspflicht nach BGH genügen. 

Weiterer Vorteil von Datenräumen professioneller Datenraumanbieter sind die Möglichkeiten den Datenraum zu filtern oder mit Stichworten zu durchsuchen. Hinzu kommt die Option einen Datenraumindex zu erstellen und automatische Benachrichtigung per E-Mail bei Neueinstellung von Informationen einzurichten. Diese Mechanismen sorgen für eine erhöhte Datenraumtransparenz, verhindern dass Käufer und ihre Berater Unterlagen übersehen oder nicht erwarten und sich dann auf eine Aufklärungspflichtverletzung stützen können.

Zuletzt legt die Entscheidung des BGH nahe, dass zwischen den Parteien klar kommuniziert werden sollte, bis zu welchem Zeitpunkt Unterlagen in den Datenraum eingestellt werden können. Es bietet sich daher an – wie in professionellen M&A Transaktionen gängige Praxis – ein konkretes Cut-off Date zur Schließung des VDR zu vereinbaren. Bis zu diesem Zeitpunkt wird der jeweilige Käufer dann mit dem Hochladen weiterer Unterlagen rechnen müssen. 

4. Disclosure Schedules zum Verkäuferschutz

Um mit Blick auf besonders relevante, die Kaufentscheidung tragende Aspekte mit Sicherheit die Aufklärungspflicht zu erfüllen, sollte der Verkäufer – wie marktüblich – ein besonderes Augenmerk auf die sorgfältige Erstellung von Disclosure Schedules legen. Damit wird gewährleistet, dass wichtige Informationen zwingend zur Kenntnis des Käufers gelangen. 

Fazit

Bei der Entscheidung des BGH handelt es sich um eine konsequente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu Aufklärungspflichten im Transaktionsgeschäft und der damit verbundenen Offenlegung von Informationen und Unterlagen. Beachtenswert ist vorliegend die detaillierte Auseinandersetzung mit dem status quo der Fachliteratur zur Organisation von virtuellen Datenräumen im Rahmen von M&A Transaktionen. Dies mag damit zusammenhängen, dass derartige Fälle aufgrund typischer Schiedsgerichtsklauseln selten den Weg zum BGH finden. Der BGH hat folglich die Gelegenheit genutzt Kriterien zu formulieren, die für die Handhabung von virtuellen Datenräumen und den darin offengelegten Informationen für zukünftige Immobilientransaktionen wie auch M&A-Transaktionen heranzuziehen sind.

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die Rechtsprechung die gängige Marktpraxis weitgehend abbildet und demzufolge dringend zu einer professionellen Steuerung und Begleitung des Transaktionsprozesses zu raten ist.

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