Schriftform vs. Textform – Der Albtraum geht weiter

 

Textform löst Schriftform in Gewerberaummietverträgen ab.

Am 26.09.2024 hat der Bundestag das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) beschlossen. Das Gesetz enthält wesentliche Änderungen für das Schriftformerfordernis für gewerbliche Mietverträge. Künftig soll für den Abschluss von Gewerberaummietverträge und deren nachträgliche Änderungen statt der Schriftform die Textform ausreichen. Was zunächst nach einer Vereinfachung und Erleichterung klingt, dürfte allerdings in der Praxis zum Gegenteil führen.


Schriftform vs. Textform

Bisher mussten Gewerberaummietverträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr sowie spätere Änderungs- und Nachtragsvereinbarungen zwingend in Schriftform (§§ 578, 550, 126 BGB) abgeschlossen werden. Andernfalls galt der gesamte Gewerberaummietvertrag, trotz der eigentlich vereinbarten Laufzeit von mehr als einem Jahr, als auf „unbestimmte Zeit“ abgeschlossen und konnte von beiden Parteien innerhalb der gesetzlichen Fristen (vorzeitig) gekündigt werden (bei gewerblichen Mietverhältnissen in der Regel sechs Monate zum Quartalsende, § 580a BGB).

Schriftformgebot

Das Schriftformgebot verlangte bisher, dass der Gewerberaummietvertrag von beiden Parteien eigenhändig, d.h. handschriftlich, unterzeichnet wird; wobei zu beachten ist, dass die handschriftliche Unterschrift auch durch eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden konnte. Zudem war für die Wahrung des Schriftformgebots die Einheitlichkeit der Urkunde erforderlich, wonach alle wesentlichen Regelungen des Gewerberaummietvertrages (z.B. Vertragsparteien, Mietgegenstand, Laufzeit und Miethöhe) in einer Urkunde enthalten sein mussten. Der BGH hat das Kriterium der Einheitlichkeit der Urkunde zwar dahingehend aufgelockert, dass eine feste Verbindung mit dem Ursprungsmietvertrag nicht zwingend notwendig ist – stattdessen muss sich jedoch die Einheitlichkeit des Gewerberaummietvertrages z. B. aus einer fortlaufenden Paginierung ergeben und so gestaltet werden, dass ein inhaltlicher Zusammenhang des gesamten Gewerberaummietvertrages nebst seiner Anlagen gewahrt werden kann.

Kündigung von Gewerberaummietverträgen

Diente das strenge Schriftformgebot ursprünglich dem Schutz des Erwerbers eines Grundstücks (der dadurch erkennen sollte, in welche Gewerberaummietverträge er durch den Erwerb eintritt), wandelte sich das Schriftformerfordernis in der Praxis auch zu einer Möglichkeit für Mieter und Vermieter, langfristige Gewerberaummietverträge vorzeitig zu beenden. Mit der Ersetzung der Schriftform durch die Textform und damit der Erleichterung des Abschlusses bzw. der Änderung von Gewerberaummietverträgen verfolgte der Gesetzgeber das Ziel die Formerfordernisse und somit die Kündigungsmöglichkeiten einzuschränken. 

Einhaltung der Textform

Für die Einhaltung der Textform (§ 126b BGB) genügt es künftig, dass eine lesbare Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird, die den Erklärenden eindeutig erkennen lässt (wie z. B.  per E-Mail, SMS oder Messengerdienste wie WhatsApp). Entscheidender Unterschied zur Schriftform ist dabei, dass  bei der Textform  eine Unterschrift grundsätzlich nicht erforderlich ist. Doch eine Vereinfachung, nach der dies zunächst klingen mag, ist hiermit nicht verbunden. 


Folgen für die Praxis

Die künftig niedrigeren Voraussetzungen der Textform für den Abschluss von Gewerberaummietverträgen passen vermeintlich in eine zunehmend digitalisierte Welt. So werden schon jetzt Entwürfe gewerblicher Mietverträge in den meisten Fällen elektronisch zirkuliert und angepasst oder wirtschaftliche Parameter auf diesem Weg verhandelt und nicht mehr per Post. Mit der neuen Gesetzesänderung wird nun auch der Abschluss von Gewerberaummietverträgen elektronisch möglich sein.

Formverstöße

Gleichwohl werden Schrift- bzw. nunmehr Textformverstöße und darauf gestützte Kündigungen auch in der Zukunft bestehen. Insbesondere die Anforderungen an die Einheitlichkeit der Urkunde dürften auch unter Geltung der Textform weitestgehend unverändert fortbestehen. Werden Anlagen versehentlich nicht dem Vertrag beigefügt oder widerspricht der Inhalt einer Anlage dem Vertragstext und lässt sich dieser Widerspruch auch nicht zweifelsfrei im Wege der Auslegung beseitigen, liegen Textformverstöße vor. Ferner erscheint eine Bezugnahme auf verschiedene E-Mails, bei denen einzelne E-Mails nur einen Verhandlungsstand abbilden, als nicht praxistauglich und fehleranfällig. Aufgrund der (vermeintlich) einfacheren Möglichkeit zum Abschluss von Gewerberaummietverträgen und der damit verbundenen Gefahr der Unübersichtlichkeit, erhöht sich das Risiko die Einheitlichkeit der Urkunde aus den Augen zu verlieren. Das Risiko eines Formverstoßes und einer damit verbundenen Kündbarkeit des Gewerberaummietvertrages wird somit auch in Zukunft bestehen. 

Schutzfunktion

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass sowohl dem Schriftform- als auch dem Textformgebot eine Beweis-, Warn- und Schutzfunktion zukommt. Die Beweisfunktion ist insbesondere im Hinblick auf mögliche Transaktionen nicht zu unterschätzen. Hierbei ist zu beachten, dass die (auch eingescannte) Unterschrift eine abschließende Funktion hat, welche den Übergang vom Entwurf zum (end-)verhandeltem Gewerberaummietvertrag markiert. Insbesondere im Hinblick auf die Beweisfunktion empfiehlt sich daher weiterhin die Ausgestaltung eines einheitlichen, endverhandelten Dokuments, dessen Zustandekommen durch (nicht zwangsläufig handschriftliche) Unterzeichnung festgehalten wird.

Konsequenzen für Immobilientransaktionen

Die niedrigeren Voraussetzungen für die Einhaltung des Textformgebots im Vergleich zur Einhaltung des Schriftformgebots werden daher auch Konsequenzen für Immobilientransaktionen haben. Gerade Erwerber müss(t)en aufgrund der vereinfachten Möglichkeit Mietvertragsänderung vorzunehmen, erhöhte Vorsicht an den Tag legen, was wiederum mit einem höherer Aufwand beim Ankauf von Immobilien verbunden sein dürfte. Im Rahmen der rechtlichen Due Diligence Prüfung müssten Verkäufer konsequenter Weise sämtliche die Gewerberaummietverträge betreffende Korrespondenz zur Überprüfung durch den Käufer offenlegen. In diesem Zusammenhang dürften bei Immobilienkaufverträgen verkäuferseitige Vollständigkeitsgarantien zunehmen, die den Erwerber dahingehend absichern sollen, dass keine nicht textformkonformen mietvertraglichen Nebenabreden bestehen und sämtliche Mietvertragsvereinbarungen offengelegt wurden. Weiterhin dürften in Zukunft mietvertragliche Regelungen vermehrt vereinbart werden, nach denen sich Mieter verpflichten, die Vollständigkeit der mietvertraglichen Regelungen im Falle eines Verkaufs der Immobilien zu bestätigen. 


Handlungsempfehlung bei Gewerberaummietverträgen

Im Ergebnis wird die Einführung der Textform zwar die Vertragsabwicklung vereinfachen, jedoch dürften gerade im Bereich der Vertragsänderung eine Vielzahl von neuen Problemen rund um die Einhaltung der Formerfordernisse entstehen. 

Daher empfehlen wir:
  • Alle Vereinbarungen (vor allem Änderungen) – wie bisher – sorgfältig zu dokumentieren und den Mietvertrag weiterhin als einheitliches Dokument zu behandeln (z. B. klare Bezugnahme von Anlagen auf Hauptvertrag).
  • Künftig in der E-Mail-Korrespondenz oder im Schriftverkehr deutlich zu machen, ob man sich noch im Verhandlungsstadium bewegt, oder ob bereits eine endgültige Einigung vorliegt. Andernfalls könnten Unklarheiten bezüglich des vereinbarten Inhalts des Mietvertrages oder unbeabsichtigte textformkonforme Nebenabreden entstehen.
  • Auf Unterschriften sollte nicht gänzlich verzichtet werden. Der letzte Schritt bei Abschluss des Mietvertrages mit händischer Unterschrift der Vertragspartner kann jedoch z.B. durch eingescannte oder digitale Unterschriften ersetzt werden. Es ist aus Gründen der Beweisbarkeit sinnvoll, dass jede Partei einen beidseitig unterzeichneten Vertrag erhält und auf die Übersendung des gegengezeichneten Vertrages auch besteht. 
  • Zum Schluss: Letztlich bedarf es eines Nachweises, dass der per E-Mail übermittelte beidseitig unterzeichnete eingescannte Mietvertrag tatsächlich beim Empfänger der E-Mail angekommen ist. Denn die schlichte Übersendung einer E-Mail erbringt keinen Beweis darüber, dass die entsprechende E-Mail dem Empfänger auch wirklich zugegangen ist. Zu empfehlen ist daher eine Bestätigung des Erhalts beim Empfänger einzufordern. 

Ausblick 

Es bleibt abzuwarten, welche Vorgehensweisen sich künftig als „best practice“ herausstellen werden. Weiterhin wird sich zeigen, wie mit den zurzeit bestehenden Schriftformheilungsklauseln in den Bestandsverträgen umzugehen ist. Hier könnte es darauf hinauslaufen, dass solche Schriftformheilungsklauseln durch sog. „Textformheilungsklauseln“ ersetzt werden. Hierbei ist aber ohnehin zu beachten, dass die sog. Schriftformheilungsklauseln, wie sie vor der Entscheidung des BGH im Jahr 2017 verwendet wurden, nach der Rechtsprechung unwirksam sind.

Der Bundesrat hat dem BEG IV mittlerweile zugestimmt. Das Gesetz kann nun ausgefertigt und verkündet werden. Die Änderungen treten dann am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Quartals in Kraft und gelten dann für neu abgeschlossene oder geänderte Gewerberaummietverträge. Für Bestandsmietverträge gilt eine Übergangsfrist von 12 Monaten, d.h. dass diese Gewerberaummietverträge für diesen Zeitraum noch wegen Schriftformverstoßes ordentlich kündbar sind. Nach Ablauf der Übergangsregelung gilt die neue Regelung (§§ 578, 550 n.F.) für alle Gewerberaummietverträge.

Über die weiteren Entwicklungen zu der Thematik Textform im Gewerberaummietrecht halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden und werden entsprechende FAQs in Kürze zur Verfügung stellen.