TikTok goes Retail – Vom Social-Media-Giganten zum E-Commerce-Marktführer? Die Einführung des TikTok Shop und die Bedrohung durch Markenpiraterie in der neuen Ära des Social Shoppings
Ursprünglich als App zum Teilen von Kurzvideos konzipiert, steigt TikTok auch weiterhin weltweit zur beliebtesten sozialen Plattform auf und ist in seiner Bedeutung schon längst über die reine Interaktionsplattform hinaus zu einer Suchmaschine für Markenentdeckung aufgestiegen. Insbesondere die jüngeren Generationen nutzen bereits heute überwiegend soziale Medien als primäre Suchmaschine.[1] Mit der in einigen Ländern bereits vollzogenen Einführung des TikTok Shops[2] hat die Plattform nun einen weiteren Schritt in Richtung E-Commerce unternommen und den Grundstein gelegt, sich auch im Bereich des Online-Shoppings zu einem bedeutenden Akteur zu entwickeln. Was diese Entwicklung für Markeninhaber und Verbraucher bedeutet und welche potentiellen Gefahren insbesondere im Hinblick auf Fälschungen und Piraterie drohen und wie sich TikTok hierzu positioniert, analysiert dieser Beitrag.
I. Einleitung
Die Rolle von sozialen Medien als Suchmaschine für Produkte und Marken nimmt stetig zu. Insbesondere die jüngeren Generationen nutzen vermehrt Plattformen wie TikTok, um nach neuen Produkten und Trends zu suchen. Diese Veränderung im Suchverhalten wird gerade durch die Vielfalt an Inhalten und die hohe Interaktivität von TikTok gefördert. Die Einführung eines eigenen Marketplaces ist daher nur die logische Konsequenz, um den bisherigen Verweis auf Drittanbieter zu beseitigen und eine eins-zu-eins-Transaktion zwischen Käufer und Verkäufer auf der eigenen Plattform zu realisieren. TikTok Shop bietet diese Möglichkeit mit der Einführung einer E-Commerce-Funktion, die in die TikTok-Plattform integriert ist und es Verkäufern, Content Creatoren und Partnern ermöglicht, Produkte direkt an die massive Benutzerbasis von TikTok zu vermarkten. Insoweit folgt TikTok dem Trend auch anderer Anbietern wie Temu[3] und Shein[4], ist jedoch von seiner Marktmacht deutlich exponentiell.
II. Markenschutz auf Online-Plattformen
Die hohe Anonymität und die hohe Geschwindigkeit, mit der Inhalte auf sozialen Medien und im Internet im Allgemeinen verbreitet werden können, machen es für Betrüger leicht, gefälschte Produkte zu verkaufen und Marken zu missbrauchen. Zwar kann die Einbettung in einen eigenen Shop zumindest das Problem eliminieren, dass Verbraucher auf gänzlich in betrügerischer Absicht erstellte Drittseiten geleitet werden, auf welcher sie neben ihren Daten zum Teil auch Zahlungen tätigen, ohne je eine Gegenleistung zu erhalten. Im Grundsatz eröffnet der Markt aber die hiervon abweichende und für Markeninhaber durchaus gefährlichere Möglichkeit, „echte“ Piraterieware schnell und flächendeckend tatsächlich zu vertreiben. TikTok Shop bietet durch die Kombination aus Social Media und Handelsplattform die aus markenrechtlicher Sicht ernste Gefahr, dass Produktfälschungen noch schneller und einfacher als bisher und damit noch unkontrollierbarer an ein großes Publikum gebracht werden können.
In Zeiten von Online-Plattformen ist es allgemein gesprochen grundsätzlich schwierig, Fälscher und Kriminelle nachhaltig aufzuspüren und zur Verantwortung zu ziehen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass diese oft aus Regionen heraus agieren, in denen Gesetze zur Rechtsverfolgung und zum Schutz von geistigem Eigentum nicht stark ausgebaut sind, sodass sie faktisch nur schwer greifbar sind. Zum anderen ist dies zum Teil auch mit mangelnder Kooperation und einem gezielten Handeln zwischen den unterschiedlichen Akteuren zurückzuführen. Die Folgen von Markenpiraterie betreffen nicht nur die Inhaber der Marken, sondern sind auch aus der Verbraucherperspektive nicht zu unterschätzen, können infolge mangelnder Qualität gesundheits- und sicherheitsrelevante Bedenken beim Kauf von Fälschungen bestehen.
Online-Plattformen wie Shein und Temu (und damit absehbar auch TikTok Shop) sind bei Produktpiraten besonders beliebt. Dieses Risiko ist den Plattformbetreibern bewusst und auch bekannt. Gleichwohl sind die Betreiber nur selten selbst „Täter“ oder „Teilnehmer“ einer derartigen Markenverletzung, sondern haften zumeist nur auf Unterlassung und Beseitigung unter dem Rechtsinstitut der sog. Störerhaftung.
Die hiernach mögliche Inanspruchnahme der Plattform anstelle der einzelnen Händler ist für den Markeninhaber jedoch attraktiv und effektiv, steht die Störerhaftung gleichrangig neben einer solchen. Markeninhaber sind nicht gezwungen, jeden einzelnen Händler zu identifizieren und (auf Unterlassung) in Anspruch zu nehmen, sondern sie können sich sofort und direkt an die jeweilige Plattform wenden.[5] So konstatiert der BGH zum Markenrecht seit langem:
Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt.[6]
Das kann gerade auch die Handelsplattform sein, wenn es sich bei den Inhalten um rechtsverletzende Fremdinhalte handelt, soweit sie auf eine solche klare Rechtsverletzung hingewiesen worden sind.[7] Insoweit ist Kernvoraussetzung, das der Störer den Rechtsverstoß unschwer feststellen kann, er also keine eingehende rechtliche und tatsächliche Prüfung vornehmen muss und auch sonst keine berechtigten Zweifel bestehen.[8]
Für das Markenrecht bedeutet dies, dass im Grundsatz eine Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber dann besteht, wenn ein identisches oder zumindest in wesentlichen Merkmalen übereinstimmendes Zeichen für identische Waren oder Dienstleistungen verwendet wird (vgl. § 14 MarkenG). Die Pflichten reichen dann vom schlichten „take down“, über ein „stay down“ hin zu verschiedentlich ausgestalteten Vorsorgemaßnahmen, die weitere gleichartige Verletzungen von vornherein unterbinden sollen.[9] Diese Maßnahmen gegenüber den Plattformen sind jedoch nur dann effektiv und wirksam und versprechen langfristigen Erfolg, wenn sowohl die Verletzungssituation sauber dokumentiert und dargelegt werden kann und – viel wichtiger jedoch – wenn der Plattformbetreiber selbst proaktiv an der Durchsetzung mitwirkt.
III. Das Schutzsystem von TikTok
TikTok Shop hat in den USA und den übrigen bereits aktiven Ländern umfangreiche Schutzmechanismen etabliert, um Markeninhabern von Piraterie und Fälschung zu schützen. Dieses System aus Richtlinien, Meldesystemen von Verstößen und Informationszentren, wie bereits von anderen Handelsplattformen bekannt, wird flankiert durch die Einführung eines IP Protection Center (IPPC)[10], welches es Markeninhabern ermöglicht, Marken zu autorisieren und Meldungen vorzunehmen und zu überwachen. Diese integrierte Plattform bietet Markeninhabern ein Dashboard, um effektiv und umfassend ihre Rechte zu registrieren, kontrollieren und durchzusetzen. Nach der Validierung der Schutzrechte kann ein Markeninhaber dann schnell und einfach potentielle Rechtsverletzungen melden, die dann von der schlichten Sperrung des Artikels und des Verkäufers bis hin zur Einziehung der Erträge führen kann, sodass – und das ist in der Praxis sicherlich zu testen und auszuprobieren – nicht nur die Rechtsverletzung abgestellt, sondern auch ein potentieller Schadensersatz auf diese Weise kostengünstig und schnell realisiert werden kann.
Das von TikTok so implementierte Schutzsystem scheint sich im bisherigen Anwendungsumfang jedenfalls zu bewähren. In den USA, wo der TikTok Shop bereits implementiert ist, zeigt sich TikTok bei der Herausforderung des Schutzes geistigen Eigentums bisher proaktiv, deutlich kooperativer und agiler als andere von Fälschern bevorzugte Plattformen. TikTok bietet mit dem IPPC und den bestehenden Richtlinien sowie einem reaktionsschnellen Team eine gute Basis, um Fälschungen zu bekämpfen und das gesitige Eigentum von Marken zu schützen. Es besteht daher die begründete Hoffnung, dass auch bei einer potentiellen Markteinführung in Deutschland und Europa diese Haltung fortgesetzt wird. Insoweit kann TikTok sich auch mit Blick auf den Schutz geistigen Eigentums als Vorreiter die Spitzenstellung sichern.
IV. Ausblick auf die zukünftige Entwicklung von TikTok als E-Commerce-Plattform
Tiktok ist eine wichtige und ernstzunehmende Plattform für Markenentdeckung und direkter Interaktion, sodass auch der TikTok Shop eine für Markeninhaber nicht zu vernachlässigende Entwicklung darstellt. Er bietet Verkäufern den Zugang zu einem immens großen Publikum und bietet mit den verschiedenen Absatzkanälen, Akteuren und Tools eine Plattform für einen nahtlosen Verkauf. TikTok Shop hat daher durchaus das Potential zum dominierenden Online-Handelszentrum.
Ein effektiver Schutz von geistigem Eigentums ist entscheidend, um Marken vor finanziellen und reputativem Schaden und Verbraucher vor Schäden an ihren Gütern, insbesondere an Gesundheit und Eigentum zu bewahren. Inhabern von Schutzrechten ist daher zu raten, sorgfältig die Entwicklungen auf TikTok und dem gesamten Online-Retail-Markt im Auge zu halten und effektiv gegen Piraterie und Fälschung vorzugehen, insbesondere sich mit den Mechanismen auszukennen und vertraut zu machen. Das gilt nicht nur für TikTok, sondern für die gesamte Bandbreite an typischen Fälschermärkten.
Kernvoraussetzung hierfür ist ein umfassender Schutz des geistigen Eigentums, sei dies durch Marken, Patente oder die übrigen Schutzrechte geistigen Eigentums, undzwar in allen Ländern, in denen auch tatsächlich Geschäfte betrieben werden. Die frühzeitige Anmeldung und Eintragung von gewerblichen Schutzrechten ist insoweit die erste aber auch wesentlichste Hürde im Kampf gegen Markenpiraterie, gefolgt von einer laufenden Markenüberwachung und umfassender Rechtsdurchsetzung unter Einbeziehung sämtlicher Absatz- und Vertriebswege und erforderlicher Akteure.
TikTok Shop ist aktuell nur in sechs asiatischen Ländern (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) sowie in Großbritannien und den USA verfügbar. Auch wenn eine offizielle Einführung des TikTok Shops in Deutschland nicht bestätigt ist, gibt es ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass dies noch im Laufe dieses Jahres, spätestens 2025 erfolgen könnte.[11] Marken sollten sich daher – sofern nicht unlängst mit Blick auf die bereits bekannten Plattformen – mit den umfassenden Angeboten und Möglichkeiten von insbesondere Onlineschutzmechanismen vertraut machen, um ihre E-Commerce-Unternehmungen auch innerhalb des TikTok-Ökosystems schnell zu überwachen. Dazu gehört neben einem (auch KI-gestützten) Monitoring der Marke und Aktivitäten vor allem die langfristige Zusammenarbeit mit Online-Plattformen, entsprechend erfahrenen Rechtsanwälten bei der Entwicklung einer Markenschutzstrategie und auch den Zollbehörden. Gerade der Zoll kann in grenzüberschreitenden Fällen, wo eine Rechtsverletzung offensichtlich ist, durch Beschlagnahmen die Auswirkungen im Markt einschränken und den Vertrieb unattraktiv werden lassen.
TikTok Shop wird einen neuen Markt für Produktfälschungen eröffnen. Es ist unerlässlich, diese Trends aus Markenperspektive zu beobachten und mit den Innovationen Schritt zu halten, um auf dem Markt relevant zu bleiben. Um den Anschluss an die Geschwindigkeit der Entwicklungen im Onlinehandel nicht zuverlieren und eine zunehmende Verwässerung der Marken durch tatenlose Hinnahme von Verletzungen nicht zu riskieren, gehört eine wirksame und an den Onlinemarkt angepasste Schutzstrategie zum Schutz geistiger Eigentumsrechte auf die Agenda eines jeden Unternehmens und sind daher jedem Unternehmen, welches Waren und Dienstleistungen am Markt absetzt, zu raten.
[1] So das Ergebnis diverser Studien, zB Axios, https://www.axios.com/2024/04/11/google-gen-z-search-engines-tiktok-youtube ; Adobe, https://www.adobe.com/de/express/learn/blog/tiktok-search-engine
[2] Zum TikTok Shop der USA: https://shop.tiktok.com/business/us
[5] Vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2020, Az. I ZR 13/19 – Störerhaftung des Registrars.
[6] Vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2010, Az. I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet, mwN.
[7] Vgl. BGH, Urteil vom 21.01.2021, Az. I ZR 20/17 – Davidoff Hot Water IV; BGH, Urteil vom 15.10.2020, Az. I ZR 13/19 – Störerhaftung des Registrars.
[8] Vgl. BGH, Urteil vom 17.08.2011, Az. I ZR 57/09 – Stiftparfüm.
[9] Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16.05.2013, Az. I ZR 216/11 – Kinderhochstühle im Internet III.
[10] Zum IPPC vom TikTok: https://ippc.tiktokglobalshop.com/
[11] So das Ergebnis der Recherchen von Eisenbrand/Rinke (OMR), abrufbar unter https://omr.com/de/daily/tiktok-shop-europa.
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