Was kommt nach der Entscheidung des EuGH zu den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI?

Am 17. Juli 2019 berichtete Rechtsanwältin Wiebke Kersten-Hauschke von der viel diskutierten Entscheidung des EuGH vom 4. Juli 2019, wonach die deutschen Mindest- und Höchstsätze der HOAI mit der europäischen Richtlinie 2006/123 nicht zu vereinbaren sind.

Unmittelbar nach dem Urteil gingen die Meinungen in der einschlägigen Fachliteratur auseinander, wie die weitere Entwicklung der HOAI zu bewerten sei.

Da die Baubranche bekanntermaßen derzeit boomt, haben die nächsten obergerichtlichen Entscheidungen nicht lange auf sich warten lassen – mit widersprüchlichen Ergebnissen!

OLG Celle: Mindest- und Höchstsätze nicht mehr verbindlich

Bereits am 17. Juli 2019 urteilte das OLG Celle (14 U 188/18) in Kenntnis der Entscheidung des EuGH vom 4. Juli 2019, dass die Rechtsprechung des EuGH auch in zeitlich vor der Entscheidung anhängigen Verfahren zu berücksichtigen sei. Wegen des Anwendungsvorbe-halts des Europarechts seien die Gerichte verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI umgehend nicht mehr anzuwenden.

Folge dieser noch nicht rechtkräftigen Entscheidung des OLG Celle ist, dass auch vor dem 4. Juli 2019 geschlossene Verträge nicht mehr durch die Mindest- und Höchstsätzen der HOAI begrenzt sind. Dementsprechend schließe auch die Vereinbarung eines die (unions-rechtswidrigen) HOAI-Mindestsätze unterschreitenden Pauschalhonorars eine Nachforde-rungen aus, die eine Schlussrechnung – entgegen des nunmehr wirksam vereinbarten Pau-schalhonorars – auf Basis der Mindestsätze der HOAI vornimmt.

OLG Hamm: Mindest- und Höchstsätze vorläufig weiterhin verbindlich

Mit Urteil vom 23. Juli 2019 entschied das OLG Hamm (21 U 24/18) jedoch – entgegen dem OLG Celle –, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI vorerst verbindlich bleiben. Der Senat in Hamm begründet diese ebenfalls nicht rechtskräftige Entscheidung mit der begrenz-ten Bindungswirkung von europäischen Richtlinien (hier RL 2006/123). Die HOAI-Sätze blie-ben demnach solange verbindlich, bis der jeweilige Mitgliedstaat „geeignete Maßnahmen“ treffe, um den Verstoß gegen das Europarecht zu beheben.

Richtlinien sind nur für die EU-Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich, nicht jedoch für die einzelnen Unionsbürger. Jedoch ist bei der Entscheidung des EuGH ausdrücklich offen ge-blieben – da bereits ein Verstoß gegen die Richtlinie festgestellt worden war – ob und inwie-fern die Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV verstoßen.

Ausblick

Weil nunmehr zwei sich widersprechende obergerichtliche Entscheidungen bestehen, hat das OLG Hamm die Revision unter Verweis auf die abweichende Rechtsprechung des OLG Celle ausdrücklich zugelassen. Wie der BGH als Revisionsinstanz entscheiden würde, lässt sich nicht derzeit kaum abschätzen.

Fest steht derzeit nur, dass der Gesetzgeber unmissverständlich aufgefordert ist, die HOAI europarechtskonform auszugestalten. Dabei kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestal-tungsspielraum zu. Wie bereits aus der Entscheidung des EuGH ersichtlich ist, ist die Ab-schaffung der Mindest- und Höchstsätze nicht der einzige denkbare Weg. Es bleibt also spannend….

Ein Beitrag von

  • Dr. Jan T. Tenner