Wie sich Finanzämter mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vor Insolvenzanfechtungsansprüchen schützen wollen

Tagesgeschäft des Insolvenzverwalters

Der Insolvenzverwalter ist Rechtspflegeorgan, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse zusteht. Den Insolvenzgläubigern gegenüber besteht u.a. die Pflicht zur Mehrung und Verwertung der Insolvenzmasse. Dies kann u.a. durch das Einholen von Steuerauskünften bei Finanzbehörden geschehen. Insolvenzverwalter haben nämlich dann die Möglichkeit, Auskunftsansprüche nach den jeweiligen Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes oder der Länder (IFG) geltend zu machen, um Einsicht in Steuerkonten bei Finanzämtern zu erhalten und vorinsolvenzliche Geschäftsvorfälle zu rekonstruieren. Mit etwaigen Anfechtungsklagen gegen Finanzbehörden kann das Vermögen der Insolvenzmasse vermehrt werden.

Was hat das jetzt mit Datenschutz zu tun?

Die am 05.05.2016 im Amtsblatt der EU veröffentlichte und am 25.05.2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) führte auch zu diversen Änderungen in der Abgabenordnung (AO). In den §§ 32 a ff. AO wurden durch den Gesetzgeber auf Grundlage der Öffnungsklausel des Art. 23 Absatz 1 lit. e) und j) DSGVO diverse datenschutzrechtliche Regelungen zu steuerrechtlichen Informations- und Auskunftsansprüchen getroffen. Der deutsche Gesetzgeber verfolgte damit das erklärte Ziel, Auskunftsansprüche von Insolvenzverwaltern auszuschließen (BMF, Schreiben vom 12.01.2018, - IV A 3 – S 0030/16/10004-07 DOK 2018/0002690). Auf diese Neuregelungen in der AO berufen sich nunmehr die Finanzbehörden und weisen die Auskunftsansprüche der Insolvenzverwalter regelmäßig zurück, um nicht mit Anfechtungsklagen überhäuft und belastet zu werden. Begründet werden die Zurückweisungen damit,

  • dass die Ansprüche nach dem IFG des Bundes oder Länder von § 32 e AO verdrängt werden, weil dieser die Informationsfreiheitsgesetze bereichsspezifisch verdränge,
  • dass durch die Verteidigung gegen zivilrechtliche Auskunftsansprüche von Insolvenzverwaltern die Finanzbehörden beeinträchtigt würden und
  • Insolvenzverwalter keine Auskunftsansprüche geltend machen könnten, weil sie keine Betroffenen im Sinne des Art. 15 DSGVO seien.

Neuregelungen der Abgabenordnung auf dem Prüfstand des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)

Derzeit liegt dem EuGH ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 04.07.2019 mit dem Aktenzeichen BVerwG 7C 31.17, OVG Münster 15 A 29/17 vor, der sich mit genau mit dieser Problematik des Auskunftsrechts nach dem IFG befasst. Das BVerwG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH drei Fragen vorgelegt, mit denen geklärt werden soll, ob der deutsche Gesetzgeber die Öffnungsklausel zur Schaffung von Sonderregelungen im Steuerrecht im Sinne des Art. 23 Abs. 1 lit. j und e DSGVO falsch ausgelegt hat und darüber hinaus geklärt werden soll, ob die Regelungen des § 32 a ff. AO europarechtskonform sind.

Zu Frage 1:

Hinsichtlich der vom BVerwG vorgelegten Frage, ob eine Finanzbehörde den Zugang zu steuerlichen Daten überhaupt unter Berufung auf Art. 23 Abs. 1 lit. j DSGVO verweigern darf, hat das BVerwG ausgeführt, dass die Öffnungsklausel in Art. 23 Abs. 1 lit. i und j DSGVO ausschließlich Privatrechtssubjekten vorbehalten ist und somit nicht öffentlich-rechtlichen Institutionen. Finanzämter können insofern nicht eine Gleichstellung mit anderen Insolvenzgläubigern, beispielsweise Unternehmen oder sogar einer Privatperson, geltend machen.

Zu Frage 2:

Sollte der EuGH in Frage 1 zu einer anderen Rechtsauffassung kommen, schließt sich die Frage an, ob das Tatbestandsmerkmal „Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche“ auch die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche erfasst.

Die Vorschrift, so das BVerwG, ziele auf eine Korrektur der insolvenzverwalterfreundlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu Informationszugangsbegehren ab. Diese Zielrichtung des Art. 23 Abs. 1 lit. j DSGVO bedürfe der Klärung. Nach dem bisherigen Verständnis beziehe sich der Begriff „Durchsetzung“ auf die Sphäre des Anspruchsinhabers und wird in erster Linie als Synonym für die Vollziehung oder Vollstreckung verwendet. Die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche sei hingegen nicht ohne weiteres unter den Begriff „Durchsetzung“ zu subsumieren.

Zu Frage 3:

Es sei zudem zu klären, ob eine nationale Regelung wie § 32 c Abs. 1 Nr. 2 AO das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO zur Abwehr von Insolvenzanfechtungsansprüchen beschränkt. Nach der Vorstellung des nationalen Gesetzgebers liegt das Regelungsziel des § 32 c Abs. 1 Nr. 2 AO darin, bei zivilrechtlichen Forderungen die Finanzbehörden weder besser noch schlechter zu stellen als andere Gläubiger oder Schuldner. Die von Insolvenzverwaltern geltend gemachten materiell-rechtlichen Auskunftsansprüche zählen allerdings nicht zu den Ansprüchen, die aus dem Steuerverhältnis an sich resultieren. Die Insolvenzanfechtung führt lediglich zur Unwirksamkeit der die Gläubiger benachteiligenden Rechtshandlungen, jedoch nicht zur Unwirksamkeit der dieser zugrundeliegenden Verpflichtungen. Vielmehr bleibe der Rechtsgrund einer angefochtenen Leistung von der Insolvenzanfechtung unberührt. Der Anfechtungsgegner müsse die ihm vom Insolvenzschuldner erbrachte Leistung zurückgewähren, behält aber seine zunächst erfüllte, nunmehr wieder offene Forderung, die er zur Insolvenztabelle anmelden könne. Dieses Interesse einer Finanzbehörde, sich vor dieser Rückabwicklung „zu schützen“, hält das BVerwG für ein nicht anerkanntes „wichtiges Ziel“ i.S.v. Art. 23 Abs. 1 lit. e DSGVO. Zumindest sei fraglich, ob lit. e einer gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung und der Sicherung des Steueraufkommens entgegensteht.

Was passiert bis zu einer Entscheidung des EuGH?

Die Entscheidung des EuGH wird einige Zeit auf sich warten lassen.

Bis dahin können die Verfahren vor den Finanz- und/oder Verwaltungsgerichten ausgesetzt werden. Die Aussetzung führt allerdings zu dem für die Insolvenzmasse nachteiligen Effekt, dass sich Insolvenzverfahren aber über noch längere Zeit hinziehen werden. Es sind daher die Verjährungsfristen der insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüche gemäß §§ 129 ff. InsO gem. §146 Abs. 1 InsO im Blick zu halten.

Das BVerwG hat hinsichtlich der neuen Rechtslage seit Einführung der DSGVO und den Neuregelungen in der AO gewichtige Gründe aufgeführt, dass Art. 23 Abs. 1 lit. j DSGVO vom Gesetzgeber falsch ausgelegt worden ist und die Neuregelungen der §§ 32b, 32c und 32 e AO vom EuGH als europarechtswidrig eingestuft werden könnten. Es bleibt die Entscheidung aus Luxemburg abzuwarten.

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