Corona-Entschädigung und Legal Tech: Vereinfachte Anspruchsdurchsetzung für Geschädigte?!

Sind Corona-Sammelklagen denkbar?

Es wird gelockert! Dennoch sind noch immer weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorhanden. Sie sind wichtig, um uns eine sinnvolle Rückkehr zur Normalität zu erlauben.

Hinter solchen Gesamtbetrachtungen stehen gleichwohl immer eine Vielzahl von Einzelschicksalen: das Restaurant um die Ecke oder der Buchladen mit der guten Beratung genauso wie der überörtliche Reiseveranstalter. Viele Wirtschaftszweige erlitten oder erleiden immer noch aufgrund der Einschränkungen erhebliche finanzielle Einbußen.

Neben den öffentlichkeitswirksam diskutierten staatlichen Hilfspaketen können Betroffenen auch eigene Ausgleichsansprüche zustehen – wenn beispielsweise staatliche Maßnahmen rechtswidrig waren oder ein sogenannter „enteignungsgleicher Eingriff“ vorliegt. Gesundheitliche Beeinträchtigungen von Einzelpersonen wegen unterlassener Schutzmaßnahmen (Stichwort: Tirol) führen ebenfalls zu Diskussionen über Ausgleichsansprüche.

Viele Betroffene scheuen allerdings die dafür regelmäßig erforderliche gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche: „viel zu teuer“, „vor Gericht und auf hoher See…“ sind nur einige der wiederholt vorgetragenen Prämissen.

Eine erste gerichtliche Entscheidung (LG Heilbronn Urt. v. 29.4.2020 – I 4 O 82/20) zu „Corona-Entschädigungen“, in der die Inhaberin eines Friseursalons Einbußen infolge der Schließung des Betriebs durch das Land ersetzt haben wollte, blieb für die Klägerin erfolglos.

Einfache Anspruchsdurchsetzung für Betroffene?

Wie angenehmen es doch wäre, wenn die Anspruchsdurchsetzung risikofrei erfolgen könnte. Genau an diesen Gedanken haben in den letzten Jahren bereits verschiedene Legal-Tech-Unternehmen aufgegriffen und bieten entsprechende Geschäftsmodelle zur einfachen Durchsetzung von Forderungen an.

Im Anschluss an den Blog-Beitrag von Marvin Fechner und Dennis Kümmel vom 15. April 2020, der mögliche Verteidigungsszenarien und die Nutzbarkeit von Legal-Tech-Anwendungen beleuchtet, widmet sich dieser Beitrag den rechtlichen Rahmenbedingungen einer legal-tech-gestützten, massenhaften Anspruchsdurchsetzung. Oder mit anderen Worten: Sind Sammelklagen zur Durchsetzung von corona-bedingten Ausgleichsansprüchen ein denkbares Szenario?

Zunächst zu den technischen Rahmenbedingungen. Wieso wird Legal Tech so häufig im Zusammenhang mit der massenhaften Durchsetzung von Ansprüchen in Verbindung gebracht?

Die (gerichtliche) Durchsetzung gleichartiger Ansprüche folgt häufig einem vergleichbaren Muster, insbesondere. Automatisiert man die Erfassung von Informationen und produziert mit Hilfe von Textbausteinen automatisiert Schreiben, kann mit wenig Aufwand eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle abgearbeitet werden. Ein gutes Beispiel für einen funktionierenden Use Case ist das Geschäftsmodell von Flightright. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, Fluggastrechte durchzusetzen.

Rechtliche Rahmenbedingungen in Deutschland

Anders als das US-amerikanische Recht (dort: „class action“) kennt das deutsche Prozessrecht keine Sammelklagen. Es ist hierzulande grundsätzlich nicht vorgesehen, dass ein Unternehmen oder eine Institution massenhaft Ansprüche Dritter vor Gericht durchsetzt. Eine Ausnahme bildet die Musterfeststellungsklage, die der Gesetzgeber aus politischer Motivation für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in Folge des Diesel-Skandals geschaffen hat.

Geschäftsmodelle wie Flightright sind deshalb auf einen Umweg angewiesen. Sie lassen sich die Ansprüche ihrer Kunden abtreten (übertragen), um sie im Anschluss gebündelt durchzusetzen. Dabei stützten Sie sich auf den § 260 ZPO, der im Rahmen der „objektiven Klagehäufung“ die gebündelte Durchsetzung gleichartiger Ansprüche ermöglicht.

Dieses Vorgehen bewegt sich in zwei rechtlichen Spannungsfeldern. Denn (1.) soll die objektive Klagehäufung keine Sammelklagen ermöglichen, und (2.) bedürfen Rechtsdienstleistungen hierzulande einer Zulassung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz. Legal-Tech-Unternehmen berufen sich insoweit auf eine Inkasso-Lizenz, wie sie auch Inkasso-Dienstleister für die außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen erwerben können.

Die Linie der Rechtsprechung

Die Zulässigkeit der legal-tech-basierten Anspruchsdurchsetzung beschäftigte deshalb bereits mehrfach die deutschen Gerichte. Ende vergangenen Jahres hat der Bundesgerichtshof, das höchste deutsche Zivilgericht, in einem Urteil (BGH Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18) die Zulässigkeit des Geschäftsmodells des Unternehmens LexFox bejaht. LexFox betreibt die Website „wenigermiete.de“ und setzt Mietansprüche seiner Kunden durch.

Der Weg zur legal-tech-basierten „Quasi-Sammelklage“ schien geebnet. Dann aber der Paukenschlag…

Im Februar betrachtete das Landgericht München (LG München Urt. v. 07.02.2020 – 37 O 18934/17) das Geschäftsmodell der financialright claims GmbH. Die financialright claims GmbH ist ein Unternehmen, das sich mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus dem LKW-Kartell beschäftigt. Das Unternehmen sammelte Schadensersatzansprüche gegen die Lkw-Herstellern Daimler, Volvo, Iveco, MAN und DAF in Höhe von über 600 Mio. Euro ein. Diese hatten zwischen 1997 und 2011 Absprachen zu Verkaufspreisen getroffen. Die financialright claims GmbH klagte in der Angelegenheit gebündelte Ansprüche von 3.235 Geschädigten ein. Das Landgericht wies die Klage der financialright claims GmbH ab.

Bei der Begründung widerspricht das Landgericht München allerdings nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Vielmehr setzt sich das Landgericht München sehr genau mit der Rechtsprechung auseinander und kommt überzeugend zu der Schlussfolgerung, dass das Unternehmen nicht über die erforderliche „Berechtigung“ zur Durchsetzung der Ansprüche seiner Kunden verfüge. Das Geschäftsmodell verstößt nach der Urteilsbegründung gegen die Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes: Primär deshalb, weil es von vorne-herein nicht auf eine außergerichtliche Anspruchsdurchsetzung gerichtet sei. Das Unternehmen könne sich damit nicht wirksam auf eine „Inkasso-Lizenz“ berufen.

Auswirkungen im Markt?!

Die Entscheidungen der Gerichte zeigen auf, dass legal-tech-basierte Anspruchsdurchsetzung in verschiedenen Use Cases ein gangbarer Weg ist und Geschädigten eine sinnvolle Alternative zur individuellen Klage bieten kann. Ein gleichgelagerter Lebenssachverhalt allein reicht zur massenweisen Bündelung und Durchsetzung etwaiger Ansprüche hingegen nicht aus, und weder der deutsche Gesetzgeber noch die Rechtsprechung erteilten der Sammelklage in Deutschland einen „Freifahrtschein“. Zudem sind die vorgenannten Entscheidungen zum Zivilprozessrecht ergangen, wohingegen corona-bedingte Ausgleichsansprüche mitunter vor Verwaltungsgerichten und damit nach den Rahmenbedingungen des Verwaltungsprozessrechts durchzusetzen sind.

Für Corona-Ausgleichsansprüche bedeutet dies, dass Betroffene derzeit noch auf die individuelle Durchsetzung ihrer Ansprüche angewiesen sind. Der fast risikofreie Verkauf an eine „Sammelstelle“ ist damit erst mal vom Tisch. Doch auch für die individuelle Durchsetzung des Anspruchs werden sich gut organisierte Rechtdienstleister gerade mittels Legal Tech rüsten. Dabei reicht eine Eingabemaske für Informationen des Klägers auf einer Website und auf Knopfdruck kann der Anwalt eine Klage gegen eines der 16 Bundesländer generieren. Kosten können dabei auf RVG Basis fast pauschal vorhergesagt werden. Das Prozessrisiko kann dem Kläger allerdings nicht abgenommen werden. Voraussetzung, dass sich ein solches Geschäftsmodell etabliert ist daher mehr Verlässlichkeit hinsichtlich dieses Risikos. Weitere Gerichtsentscheidungen zu Corona-Entschädigungen werden diese sicherlich zeitnah liefern.

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