Die weitere Entwicklung zur Anwendbarkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI: Der BGH wird entscheiden!

In dem Blogbeitrag „Was kommt nach der Entscheidung des EuGH zu den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI?“ vom 09.08.2019 berichteten wir über die ersten Reaktionen der Obergerichte auf das Urteil des EuGH vom 17.07.2019, wonach die Mindest- und Höchstsätze der HOAI mit der europäischen Dienstleistungsrichtlinie nicht zu vereinbaren sind. Die unmittelbar im Anschluss an die Entscheidung des EuGH aufkommende Frage, wie mit diesem Feststellungsurteil im nationalen Recht umgegangen werden sollte, war und ist weiterhin höchst umstritten.

Bisherige Urteile des OLG Celle und des OLG Hamm

Das OLG Celle entschied mit Urteil vom 17.07.2019 – 14 U 188/18, dass die Höchst- und Mindestsätze bereits in laufenden Verfahren aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Das OLG Hamm hielt mit Urteil vom 23.07.2019 – 21 U 24/18 dagegen, da der EuGH ausdrücklich nur entschieden habe, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie verstießen. Eine Richtlinie, so das OLG Hamm in seiner Begründung, binde jedoch nicht die Parteien des dort anhängigen Rechtsstreits. Eine Richtlinie adressiere nur die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und somit nicht die einzelnen Unionsbürger. Eine unmittelbare Drittwirkung von Richtlinien komme, wenn überhaupt, nur zwischen dem Staat und Privaten in Betracht. Grund für die unmittelbare Wirkung sei der Sanktionsgedanke, falls ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht europarechtskonform umsetze.

Erneut OLG Celle mit konsistenter Rechtsauffassung: Unanwendbarkeit der Mindest- und Höchstsätze

Das Urteil des OLG Hamm ließ der Senat in Celle nicht auf sich beruhen und bekräftigte mit der Entscheidung vom 14.08.2019 – 14 U 198/18 die Unanwendbarkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI: Das OLG Hamm habe in seiner anderslautenden Entscheidung die besondere Rechtsnatur der Dienstleistungsrichtlinie verkannt, die gerade der Beseitigung von europarechtswidrigen Zuständen diene.

Kammergericht Berlin schließt sich dem OLG Hamm und der Fortgeltung der Mindest- und Höchstsätze an

Das Kammergericht (entspricht einem Oberlandesgericht) in Berlin, Beschluss vom 19.08.2019 – 21 U 20/19, kam hingegen dem OLG Hamm zur Hilfe. Eine Drittwirkung der Dienstleistungsrichtlinie sei unter keinem Gesichtspunkt anzunehmen. Darüber hinaus stellte das Kammergericht Berlin noch Überlegungen zu der Vereinbarkeit der Höchst- und Mindestsätze der HOAI mit der unstreitig unmittelbar geltenden Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (kurz AEUV) an. Jedoch sei der Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV in dem zu entscheidenden Fall nicht eröffnet gewesen, da dort kein grenzüberschreitender Bezug (die Parteien hatten beide ihren Sitz in Deutschland) vorgelegen habe. Somit habe die Dienstleistungsrichtlinie zwar einen größeren Anwendungsbereich (nämlich auch bei rein nationalen Sachverhalten), jedoch sehe ein Verstoß gegen Art. 49 AEUV die strengere Rechtsfolge vor; nämlich die Unanwendbarkeit der HOAI-Mindest- und Höchstsätze zwischen Privaten.

Vergabekammer der Bundes: Jedenfalls keine Fortgeltung im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern

Die Vergabekammer der Bundes hat mit seinem Beschluss vom 30.08.2019 – VK 2 - 60/19 deutlich gemacht, dass jedenfalls dann, wenn der Bund als öffentlicher Auftraggeber einen Auftrag vergibt, eine horizontale Drittwirkung der Dienstleistungsrichtlinie anzunehmen ist. Demzufolge seien die HOAI-Mindest- und Höchstsätze nicht mehr anzuwenden. Damit liegt die Entscheidung der Vergabekammer letztlich auf einer gemeinsamen Linie mit dem OLG Hamm und dem Kammergericht Berlin, die zwar eine Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie zwischen Privaten ablehnen, nicht jedoch zwischen einem privaten Bieter und dem Bund als öffentlichen Auftraggeber.

OLG Düsseldorf: Mindest- und Höchstsätze der HOAI dürfen von Gerichten nicht mehr angewendet werden

Und dann hatte noch das OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2019 – I-23 U 155/18, Gelegenheit, sich eine Meinung über die Fortgeltung der Mindest- und Höchstsätze der HOAI zu bilden. Der dortige Senat folgte dem OLG Celle und betonte in Anschluss an eine Meinung aus der Literatur, dass europäischen Richtlinien gegenüber sämtlichen Staatsorganen Bindungswirkung hätten. Demnach seien auch die Gerichte gehalten, die europarechtswidrigen Mindest- und Höchstsätze der HOAI nicht mehr anzuwenden.

Da, so der Senat weiterhin, die Mindest- und Höchstsätze der HOAI keine Anwendung mehr fänden, liefe auch die Vermutung des § 7 Abs. 5 HOAI ins Leere. Nach § 7 Abs. 5 wird bei nicht schriftlichen Vergütungsvereinbarungen für Planungsleistungen unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen HOAI-Mindestsätze als vereinbart gelten. Diese Feststellung des Oberlandesgerichts Düsseldorf dürfte insbesondere für die elektronische Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen relevant sein, da die im Rahmen der E-Vergabe regelmäßig genutzte Textform im Sinne von § 126b BGB nach dem Gesetzeswortlaut gerade nicht der Schriftform im Sinne von § 126 BGB genügt.

Vom OLG Rockstock offen gelassen

Das OLG Rostock, Beschluss vom 02.10.2019 – 17 Verg 3/19 konnte in dem dortigen Fall die Frage der Fortgeltung der Mindest- und Höchstsätze offenlassen. Der Senat stellte lediglich am Rande fest, dass die Europarechtswidrigkeit der Honorar-Mindestsätze der HOAI je nach konkreter Ausgestaltung einer Ausschreibung diese vergaberechtswidrig machen könnte. In welchen Situationen eine nach nationalem Recht unzulässige Ausgestaltung einer Ausschreibung unter Bezug auf die Mindest- und Höchstsätze der HOAI vorliegt, führte das OLG Rostock folgerichtig nicht aus.

Resümee und Ausblick

Der BGH ist berufen, die unterschiedliche Rechtsprechung der Obergerichte zu einen. Wie unlängst aus Richterkreisen zu hören war, ist eine entsprechende Revision in Karlsruhe anhängig. Die Bundesrichter haben bereits betont, dass sie sich der praktischen Relevanz der HOAI bewusst sind und sich der Sache Anfang 2020 annehmen wollen. Wir werden weiter berichten!

Ein Beitrag von

  • Dr. Jan T. Tenner