Entschädigungs-Ansprüche wegen rechtswidriger Corona-Schutz-Maßnahmen
In unserem Blog-Beitrag vom 26.06.2020 hatten wir zu Entschädigungs-Ansprüchen wegen Corona-Schutz-Maßnahmen Stellung genommen. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster hat nun in einem Eilbeschluss entschieden, dass bestimmte regional veranlasste Maßnahmen (voraussichtlich) rechtswidrig seien, was für die Durchsetzbarkeit von Entschädigungs-Ansprüchen von Bedeutung ist. Im Einzelnen:
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 06.07.2020
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Eilbeschluss vom 06.07.2020 die für das Gebiet des Kreises Gütersloh geltende nordrhein-westfälische Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Regionen mit besonderem Infektionsgeschehen (Coronaregionalverordnung - CoronaRegVNW) vorläufig außer Vollzug gesetzt (Az. 13 B 940/20.NE).
Nach einem Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh mit über 1.500 Infizierten hatte das Land Nordrhein-Westfalen eine erste CoronaRegVNW erlassen. Diese sah befristet für die Dauer einer Woche weitreichende Kontaktbeschränkungen sowie Einschränkungen im Kultur- und Freizeitbereich für die Kreise Gütersloh und Warendorf vor.
Diese Verordnung hatte das Oberverwaltungsgericht mit Eilbeschluss vom 29.06.2020 als voraussichtlich rechtmäßig angesehen und einen dagegen gerichteten Eilantrag abgelehnt (Az. 13 B 911/20.NE). Seine Entscheidung stützte der 13. Senat insbesondere darauf, dass die Verordnung mit einer Geltungsdauer von (zunächst) nur einer Woche zeitlich sehr eng befristet sei und die vorgesehenen Schutzmaßnahmen mit einer deutlichen Ausweitung von Testungen der Kreisbevölkerung auf das Coronavirus einhergingen.
Während die Maßnahmen betreffend den Kreis Warendorf mit Ablauf des 30. Juni 2020 ausgelaufen sind, hat das Land für den Kreis Gütersloh eine zweite CoronaRegVNW erlassen, wonach die Beschränkungen dort aufrechterhalten bleiben.
Einem hiergegen gerichteten Eilantrag hat das Oberverwaltungsgericht mit dem Beschluss vom 06.07.2020 stattgegeben. Es sei nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu vereinbaren, dass sich ihr Geltungsbereich auf das gesamte Gebiet des Kreises Gütersloh erstrecke. Ausweislich der Ergebnisse der seit Entdeckung des Ausbruchs durchgeführten Massentestungen unter den Einwohnern des Kreises Gütersloh variiere die Verteilung der bestätigten Neuinfektionen innerhalb der kreisangehörigen Städte und Gemeinden erheblich. Insbesondere in den im Norden und Osten des Kreises gelegenen Städten seien nur wenige Neuinfizierungen festgestellt worden. Vor diesem Hintergrund sei nicht (mehr) ersichtlich, dass sich die dortige Gefährdungslage signifikant von derjenigen in anderen außerhalb des Kreisgebietes gelegenen Städten und Gemeinden vergleichbarer Größenordnung unterscheide.
Das Erfordernis einer größeren Ausdifferenzierung der Beschränkungen hatte den 13. Senat auch bereits in seinem Eilbeschluss vom 05.06.2020 veranlasst, wesentliche Teile der nordrhein-westfälischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Bezug auf Ein- und Rückreisende (Coronaeinreiseverordnung) vorläufig außer Vollzug zu setzen (Az. 13 B 776/20.NE). Die Verordnung bestimmt, dass Personen, die mehr als 72 Stunden im Ausland (ausgenommen die Mitgliedstaaten der EU, Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz sowie Großbritannien und Nordirland) waren und dann nach Nordrhein-Westfalen einreisen, sich auf direktem Weg in die eigene Häuslichkeit begeben müssen und diese 14 Tage nicht verlassen dürfen. Da es auch außerhalb Europas eine Reihe von Staaten gebe, in denen das Infektionsrisiko derzeit erkennbar nur noch gering oder jedenfalls nicht höher als in der Bundesrepublik sei, handele es ich bei der Anordnung einer „häuslichen Quarantäne“ für alle aus Drittstaaten einreisenden Personen nicht (mehr) um eine notwendige Schutzmaßnahme. Davon ausgehend, dass das Oberverwaltungsgericht seine vorläufigen Eilentscheidungen in der sich anschließenden Hauptsacheentscheidung bestätigen wird, stellt sich die Frage, wie sich die Rechtswidrigkeit der CoronaRegVONW auf mögliche Entschädigungsansprüche der Kreisbewohner auswirkt.
Haftungsrechtliche Folgen rechtswidriger staatlicher Maßnahmen
Zunächst kann eine rechtswidrige Verordnung Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegenüber dem Staat begründen. Voraussetzung ist die Verletzung einer sogenannten „drittschützenden Amtspflicht“, gegen die das Land NRW mit der Verordnung verstoßen haben muss. Hierbei ist zu fragen, ob die Verordnung individuell und unmittelbar in Bürgerrechte eingegriffen hat. Aufgrund der konkreten zeitlichen Begrenzung und der umfangreichen Einzelaufzählungen der untersagten Tätigkeiten in den Coronaschutzverordnungen spricht vieles für einen unmittelbaren und individualisierten Einzelfallbezug.
Dabei ist das „Verweisungsprivileg“ des Staates gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zu beachten. Handelt der Verordnungsgeber nicht vorsätzlich, sondern lediglich fahrlässig, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Dies ist mit den Soforthilfemaßnahmen der Fall, sodass ein Betroffener sich diese der Höhe nach auf einen Ersatzanspruch wird anrechnen lassen müssen.
Neben dem klassischen Staatshaftungsanspruch sind noch weitere Anspruchsgrundlagen für Ersatzansprüche bei rechtswidrigem Staatshandeln vorhanden. Etwa Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff, weil die rechtswidrige Coronaschutzmaßnahme das Eigentumsrecht an einem mit einem Tätigkeitsverbot belegten Gewerbebetrieb unverhältnismäßig eingeschränkt hat. Daneben ist der Staat gemäß § 39 Abs. 1 lit. b) Ordnungsbehördengesetz NRW zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, den jemand durch rechtswidrige Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht. Stand: 25.07.2020
Ein Beitrag von