Preisgleitklausel bei Baumaterialien-Notwendig zur Ausräumung eines ungewöhnlichen Wagnisses?

Am 25. März haben das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr Praxishinweise zum Umgang mit Lieferengpässen und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukrainekriegs herausgegeben. Dabei nehmen die Ministerien sowohl zum Umgang mit laufenden Vergabeverfahren Stellung wie auch zur Anpassung bestehender Verträge.

Unmittelbar gebunden durch den Erlass sind zwar nur Vergabestellen auf Bundesebene. Durch die klare Aussage zum Vorhandensein eines ungewöhnlichen Wagnisses bei Ausschreibungen ohne eine solche Klausel, ist dies jedoch auch für andere Auftraggeber vergaberechtlich relevant. 

Problematik

Wichtige Baustoffe, insbesondere Stahl, stammen in erheblichen Mengen aus der Ukraine, Russland und Weißrussland. Infolge der Kriegsereignisse und Sanktionen ist es bei diesen zu Lieferengpässen und Preissteigerungen gekommen. Mithin hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr Sonderregelungen für besonders betroffene Produktgruppen – wie Stahl, Stahllegierungen und Erdölprodukte – herausgegeben.

Was bedeutet der Erlass für neue und laufende Vergabeverfahren?

Um der Problematik bei neuen und laufenden Vergabeverfahren zu begegnen, beziehen sich die Ministerien auf die Richtlinie zum Formblatt 225 VHB. Nach Ziffer 2.1 der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB Bund sind Stoffpreisgleitklauseln bei Bauverträgen vorzusehen, wenn

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    1. Stoffe ihrer Natur nach besonderen Preisschwankungen ausgesetzt sind oder für diese ein nicht kalkulierbares Preisrisiko erwartet wird und
    2. der Zeitraum zwischen der Angebotsabgabe und der vereinbarten Fertigstellung mindestens 10 Monate liegen und
    3. der Stoffanteil der betroffenen Stoffe wertmäßig mindestens 1 % der von der Vergabestelle geschätzten Auftragssumme beträgt.

Zu diesen Voraussetzungen nehmen die Ministerien nicht nur Stellung, sondern passen sie der Problemsituation an.

Und: Es wird ausdrücklich festgehalten, dass aus Sicht des Ministeriums ein nicht kalkulierbares Preisrisiko im Sinne der Vergaberichtlinie anzunehmen ist. Es soll genügen, wenn zwischen der Angebotsabgabe und der vereinbarten Fertigstellung ein Monat liegt, folglich werden die Anforderungen diesbezüglich drastisch reduziert.

Bei laufenden Vergabeverfahren wird die nachträgliche Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel vorgegeben. Sollten bereits Angebote vorliegen, sind die Vergabeverfahren hierzu in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzusetzen.

Was bedeutet der Erlass für bestehende Verträge?

Die Anpassung bestehender Verträge beleuchtet der Erlass sowohl unter zivilrechtlichen wie auch unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten.

Ist eine Anpassung nach § 313 BGB möglich?<7h2>

Zivilrechtlich nehmen die Ministerien zu der Frage Stellung, ob ein Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB besteht, folglich ob durch die Preissteigerungen eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt.

Grundsätzlich fällt das Materialbeschaffungsrisiko in die Sphäre des Unternehmers, sodass Preisschwankungen nicht zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führen können. Nach dem Erlass gelte dies jedoch nicht in Fällen höherer Gewalt, sodass jedenfalls in diesen Fällen eine Störung der Geschäftsgrundlage gegeben sei. Jedoch wird darauf hingewiesen, dass die Frage der Unzumutbarkeit - am Festhalten des unveränderten Vertrages - weiterhin einzelfallabhängig zu prüfen sei.

Auch hinsichtlich der Rechtsfolgen des § 313 BGB wird den Unternehmen nur in Grenzen Hoffnung gemacht. Der Auftraggeber habe nicht sämtliche Kosten zu tragen, die die Kalkulation übersteigen. Bereits die Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten sei in der Regel unangemessen.

Zugunsten der Unternehmer wird jedoch vorgegeben, dass der Krise nicht bloß mit einer pauschalen Preisanpassung zu begegnen sei, sondern auch die nachträgliche Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel für noch nicht erbrachte Leistungen in Betracht gezogen werden kann.

Änderung von Verträgen nach § 58 BHO?

In der vergaberechtlichen Bewertung wird in dem Erlass zunächst zu einer Anpassung von Verträgen unterhalb der Schwellenwerte nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 BHO Stellung genommen. Die Ministerien äußern sich nicht zur Einschlägigkeit der Regelung, sondern geben lediglich vor, es müsse eine Gesamtabwägung der Vor- und Nachteile erfolgen.

Neues Vergabeverfahren?

Für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte stellt sich die Frage, ob eine Vertragsanpassung eine wesentliche Änderung nach § 132 Abs. 1 GWB darstellen würde und entsprechend ein neues Vergabeverfahren erforderlich wäre.

Eine wesentliche Änderung wird unter anderem angenommen, wenn sich das wirtschaftliche Gleichgewicht zugunsten des Auftragnehmers verschiebt. Hierzu wird klargestellt, , dass eine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB das ursprüngliche wirtschaftliche Gleichgewicht zu wahren sucht und es eben nicht verschiebe, sodass schon keine wesentliche Vertragsänderung gegeben sei. Abseits dessen sei eine Vertragsanpassung jedenfalls nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB zulässig, denn der Krieg und seine Auswirkungen seien für den Auftraggeber unvorhersehbar gewesen. Es wird jedoch auf die Wertgrenze von 50 % nach § 132 Abs. 2 S.2 GWB hingewiesen.

Fristverlängerung

Auch zu der Frage der Ausführungsfristen wird Stellung genommen. Zum einen, indem für bestehende Verträge auf § 6 VOB/B hingewiesen wird und zum anderen dadurch, dass für laufende Vergabeverfahren eine Anpassung der Fristen vorgeschrieben wird.

Auswirkungen für die Praxis?

Der Erlass dürfte insbesondere öffentlichen Auftraggebern die Sicherheit geben, die von Auftragnehmern aktuell begehrten Stoffpreisgleitklauseln in die Vergabeunterlagen aufnehmen beziehungsweise bestehende Verträge entsprechend anzupassen.

Es bedarf jedoch immer einer Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls. Die pauschal Geltendmachung eines Vergabefehlers wegen eines ungewöhnlichen Wagnisses wäre daher nicht anzunehmen, bei entsprechender Darlegung der in der jeweiligen vergaberelevanten Materialien ist dies nun aber auf Basis der ausdrücklichen Feststellung der Ministerien auch bei Ausschreibungen anderer öffentlicher Auftraggeber nun einfacher möglich. Auch hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB bleiben einzelne Punkte klärungsbedürftig. Zudem müssen sich die Unternehmen darauf vorbereiten, eine Belastung substantiiert darlegen zu müssen. Hierfür wird unter anderem eine Offenlegung und Rechtfertigung der Urkalkulation und der Einkaufskosten erforderlich sein.

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