UPDATE: Neues zum Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich

"Das Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich wurde am 01.04.2020 verkündet (BGBl I Nr. 16 v. 01.04.2020 S.674) und ist nunmehr in Kraft."

Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 20.02.2020 unter Tagesordnungspunkt 15 den Gesetzesentwurf für ein „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ beschlossen. An dem Entwurf wurden keine Änderungen vorgenommen. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 14.02.2020 zugestimmt, es ist mit einer zeitnahen Ausfertigung und Verkündung zu rechnen. Zusätzlich hat die Bundesregierung in ihrer Sitzung am 12.02.2020 ein neues Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie beschlossen, welches Maßnahmen zur Optimierung des Beschaffungswesens enthält.

Inhalt des Strategiepapier zur Stärkung der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie

Das Strategiepapier ersetzt die Vorläufer zur Verteidigungsindustrie von 2015, sowie zur zivilen Sicherheitsindustrie aus dem Jahr 2016. Wie bereits in dem Gesetzesentwurf, wird die Neufassung mit den „größeren, volatileren und komplexeren“ Herausforderungen begründet.

Die Schlüsseltechnologie

Im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz relevant sind die Neueinstufungen als Schlüsseltechnologie. Das Strategiepapier ist also der erste Anwendungsfall unter neuem Recht. Als Gründe führt die Bundesregierung unter anderem an, dass die Beschaffung von dauerhaft vertrauenswürdigen Herstellern erfolgen können soll und man sich nicht von Drittstaaten außerhalb der EU, in diesem sensiblen Bereich abhängig machen möchte. Darüber hinaus sollen die Kompetenzen im digitalen und analogen Raum gleichlaufen und die strategische Bedeutung der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrien wird betont.

Folgende Schlüsseltechnologien wurden vom Kabinett beschlossen:

  • Als nationale Schlüsseltechnologie:
    • Elektronische Kampfführung
    • Geschützte/gepanzerte Fahrzeuge
    • Künstliche Intelligenz
    • Marineschiffbau (Über-/Unterwasserplattformen)
    • Schutz
    • Sensorik
    • Sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologien
    • Vernetzte Operationsführung/Krypto
  • Als europäisch bzw. global:
    • ABC-Abwehr
    • Dreh- und Starrflügler
    • Flugkörper/Luftverteidigung
    • Handfeuerwaffen
    • IT/Kommunikationshardware
    • Ungeschützte Fahrzeuge

Diese Industrien sollen durch die Maßnahmen im Strategiepapier besonders gefördert und geschützt werden. Im Zusammenspiel mit den Änderungen durch das neue Gesetz, können Beschaffungen in diesem Bereich insbesondere unter § 107 Abs. 2 GWB fallen, sofern wesentliche Sicherheitsinteressen bestehen. Der Einstufung kommt somit Indizwirkung zu.

Es wird sich in der Praxis zeigen, wie weit diese Indizwirkung alleine durch die Klassifikation reicht. Die Bundesregierung verweist in dem Strategiepapier ausdrücklich auf die Möglichkeit durch die Gesetzesänderung für Schlüsseltechnologien auf die Ausnahmeregelung des Art. 346 AEUV zurückzugreifen. Dabei wird auch zu bestimmen sein, wie weit die Anwendungsbereiche der aufgeführten Industriezweige gehen, da die Umschreibungen der Schlüsseltechnologien doch sehr weit sind und Definitionen in diesem Bereich fehlen. Gerade in den Randbereichen z.B. von Zusatzausrüstung oder Dual-Use Gütern wird sich das Ausmaß der Ausnahmen zeigen müssen.

In den Fällen, in denen § 107 Abs. 2 GWB angewandt wird, liegt jedoch eine nationale Ausschreibung nach Haushaltsrecht bzw. UVgO nahe. Für Kritiker wird jedenfalls der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen offen bleiben, so lange sie sich auf eine unzulässige Berufung auf die Ausnahme und damit eine de-facto Vergabe berufen können.

Andere beschaffungsrelevante Aspekte des Strategiepapiers

Darüber hinaus verpflichtet sich die Regierung die „rechtlichen Möglichkeiten, die das Vergaberecht bereits bietet, künftig verstärkt auszunutzen“. Damit sind wahrscheinlich die Ausnahmen und Sonderregeln der VSVgV gemeint. Interessant ist auch die Bestrebung in der EU eine stärkere Harmonisierung der Beschaffung hinsichtlich einheitlicher Standards und Spezifikationen anzustreben. Die Industrie soll frühzeitig in den Beschaffungsprozess eingebunden werden.

Fragen der IT-Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit der Hersteller sollen nach Ansicht der Regierung verstärkt im Vergabeverfahren berücksichtigt werden. Bedauernswerterweise lässt sie dabei offen, in welcher Form dies erfolgen soll. Nach aktueller Rechtslage bietet sich wohl eine Berücksichtigung im Rahmen der Eignung sowie ggf. auch eine Überprüfung von Sicherheitsstandards im Rahmen von Teststellungen an. Als Ziel nennt die Bundesregierung in ihrem Strategiepapier die angemessene Teilhabe deutscher Unternehmen, womit ggf. insbesondere auch die aktuelle Kritik an der beabsichtigte Vergabe des Auftrags über die Kriegsschiffe MKS 180 an eine niederländische Werft aufgegriffen wird. Auch die Einordnung des Marineschiffbaus als nationale Schlüsseltechnologie greift diese Diskussion auf, wonach wie beschrieben eine Ausnahme nach Art. 346 AEUV in Betracht gezogen werden kann.

Fazit

Es wird sich zeigen inwiefern die Ankündigungen des Strategiepapiers mehr als wohlklingende Forderungen und Ideen sind, dies wird sich an der praktischen Umsetzung messen lassen müssen. Jedenfalls aber zeigt das Strategiepapier den ersten praktischen Anlauf zur Klassifikation von Schlüsseltechnologien, so dass für die Gesetzesänderungen jedenfalls doch ein recht weiter Anwendungsbereich gezeichnet wurden. Auf welche Aspekte dann im Rahmen der Einzelfallabwägung abgestellt werden soll, bleibt offen. Durch das Strategiepapier der Bundesregierung scheint die beabsichtigte Änderung in der Beschaffungshandhabung weitreichender, als es bei isolierter Betrachtung der Regelungsänderung in VSVgV und GWB vermittelt wurde.

Der nach der Systematik des EU-Vergaberechts gebotene Zwischenschritt, dass in Bezug auf die jeweilige Vergabe darzulegen ist, warum im konkreten Fall- über die pauschale Einordnung als Schlüsseltechnologie hinaus- der Verzicht auf eine Ausschreibung für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist fehlt. Weiterhin gilt zu beachten, dass nach dem Wortlaut des Art 346 AEUV diese Ausnahme als weitere Voraussetzung fordert, dass die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betroffen ist. Die im Strategiepapier sehr global beschriebenen Schlüsselindustrien erfüllen teilweise diese Voraussetzung jedenfalls nicht als ganze Gruppe. Es bleibt also spannend, wie konkrete Anwendung dieser beabsichtigten Ausnutzung der vergaberechtlichen Spielräume aussehen wird.

Eine ausführliche Erläuterung der Neuerungen durch das Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik finden Sie in dem Beitrag vom 15.11.2019.

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