Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI und das Europarecht: Der BGH hat entschieden, dass er noch nicht entscheiden kann

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte mit Urteil vom 4. Juli 2019 entschieden, dass die deutschen Mindest- und Höchstsätze der HOAI mit der europäischen Richtlinie 2006/123 nicht zu vereinbaren sind. Diese Feststellung auf europäischer Ebene hat für den Rechtsanwender eine Vielzahl von Praxisfragen aufgeworfen. Zu deren Klärung hat leider auch die der EuGH-Entscheidung nachfolgende nationale obergerichtliche Rechtsprechung nur bedingt beigetragen. Wir haben in unseren Blog-Beiträgen vom 9. August 2019 und vom 25. Oktober 2019 exemplarisch über die gegensätzlichen Rechtsansichten des OLG Hamm vom 23.07.2019 einerseits und des OLG Celle vom 14. August 2019 andererseits berichtet. Zwischenzeitlich hatten fast alle Oberlandesgerichte vergleichbare Fälle zu entscheiden. Da beide Oberlandesgerichte, Hamm und Celle, die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen hatten, war abzusehen, dass der BGH abschließend über die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung vom 4. Juli 2019 würde befinden müssen.

Eine Sachentscheidung hat der BGH jedoch (noch) nicht getroffen. Wie der Mitteilung vom BGH vom 15.05.2020 zu entnehmen war, hat der BGH das Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des OLG Hamm (BGH, VII ZR 174/19) ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt.

Aufstockung nach HOAI oder Festpreis?

Die jeweiligen Ausgangsfälle sind auch in der täglichen Praxis häufig anzutreffen: Private Parteien streiten über einen (Rest-)Vergütungsanspruch. Vertraglich vereinbart war ein Festhonorar, das unter den Mindestsätzen der HOAI lag. Maßgebliche Rechtsvorschrift diesbezüglich ist § 7 Abs. 1 HOAI (2013):

„Das Honorar richtet sich nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen.“

Das OLG Hamm hatte in seiner Entscheidung die Ansicht vertreten, dem klagenden Ingenieur stehe eine restliche Honorarforderung nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) zu. Das Urteil des EuGH vom 4. Juli 2019 ändere daran nichts, da die Feststellung des EuGH nur die Mitgliedsstaaten betreffe und keine unmittelbare Wirkung gegenüber den einzelnen Bürgern entfalte. Der EuGH habe lediglich festgestellt, dass die Mindest- und Höchstsätze gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie verstießen. Europäische Richtlichtlinien binden jedoch nur die Mitgliedsstaaten und verlangen von diesen eine Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht. Dementsprechend sei (bis zur anderweitigen Entscheidung des nationalen Gesetzesgebers) § 7 Abs. 1 HOAI (2013) weiterhin anzuwenden.

Das OLG Celle hatte hingegen darauf abgestellt, dass die Dienstleistungsrichtlinie sämtliche Staatsorgane in die Pflicht nehme. Daher seien auch die nationalen Gerichte gehalten, die Rechtsanwendung an den europäischen Vorgaben zu orientieren. Der Senat in Celle hatte entschieden, dass dem dortigen Architekten aufgrund des Geltungsvorrangs des Europarechts keine Aufstockung des vereinbarten Festhonorars auf die Mindestsätze der HOAI (2013) zustehe.

Vorgehen des BGH: Aussetzungsbeschluss und Vorabentscheidung durch den EuGH

Beide Entscheidungen gelangten schließlich beim BGH in der Hoffnung, dieser werde zeitnah für Rechtsklarheit sorgen. Der BGH wies jedoch die Revision gegen das Urteil des OLG Celle bereits aus anderen Gründen zurück. Bei der Revision gegen die Entscheidung des OLG Hamm kam es hingegen entscheidungserheblich auf die Wirkungen des europäischen Urteilsspruchs vom 4. Juli 2019 an. Der BGH setzte in der Folge das Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO aus und ersuchte den EuGH um eine Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV.

Im Wesentlichen hat der BGH beim EuGH die Frage gestellt, ob das Unionsrecht so auszulegen sei, dass § 7 HOAI (2013) auf bereits anhängige Gerichtsverfahren zwischen Privaten nicht mehr anzuwenden sei. Dies hätte zur Folge, dass ein Festhonorar unterhalb der Mindestsätze der HOAI Bestand hätte und die klageweise eingeforderte Aufstockung abzuweisen wäre.

Diese weitere Entscheidung des EuGH steht naturgemäß noch aus. Nach der Entscheidung des EuGH wird das Revisionsverfahren vor dem BGH unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Vorabentscheidungsverfahrens fortgesetzt.

Aktuelle Tendenz des BGH und Ausblick

Ganz ohne nationalen Fahrplan hat der BGH die Praxis jedoch nicht zurückgelassen. So heißt es in der am 15. Mai 2020 veröffentlichten Mitteilung: § 7 HOAI könne nicht unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 4. Juli 2019 dahingehend ausgelegt werden, dass die Mindestsätze zwischen Privatpersonen nicht mehr verbindlich seien. Denn der Wortlaut des § 7 Abs. 1 HOAI (2013) sei diesbezüglich eindeutig und dieser eindeutige Wortlaut („im Rahmen der durch diese Verordnung festgesetzten Mindest- und Höchstsätze“) verlange zwingend, dass Festhonorare nicht unterhalb der Mindestsätze liegen dürften. Eine Auslegung von § 7 HOAI, die zu einem anderen Ergebnis führt, sei nach den anerkannten Auslegungsmethoden nicht möglich. Wörtlich führt der BGH aus:

„Der BGH neigt dazu, keine unmittelbare Wirkung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie in der Weise anzunehmen, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen nicht mehr angewendet werden können.“

Das hieße – sofern der EuGH im Rahmen der Vorabentscheidung keine abweichende Ansicht äußert – dass der BGH sich der Meinung des OLG Hamm anschließen würde. Im Ergebnis wäre ein Aufstockung der Honorarforderung eines Architekten oder Ingenieurs auf die Mindestsätze der HOAI (2013) weiterhin möglich.

In der Praxis dürfte zudem der Zinslauf zu beachten sein. So dürften bei dem Rechtsstreit des OLG Hamm mit einem Streitwert von ca. EUR 100.000,00 zusätzlich bereits ca. EUR 20.000,00 angefallen sein. Schließlich beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen im geschäftlichen Verkehr gemäß § 288 Abs. 2 BGB seit Juli 2014 neun Prozentpunkte über dem Basiszins.

Ein Beitrag von

  • Dr. Jan T. Tenner