Änderungen und Neuerungen der Insolvenzordnung – zentrale Fortentwicklungen in angespannten Zeiten

Pünktlich zum 01.01.2021 ist das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG, BGBl I vom 29.12.2020, S. 3256 ff.) in Kraft getreten.

Das SanInsFoG umfasst neben dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) [vgl. unsere Blog Beiträge vom 08.01.2021 und 13.01.2021] weitreichende Änderungen der Insolvenzordnung (InsO). Den vollständige Gesetzestext der InsO unter Hervorhebung der Änderungen finden Sie hier.

Die Änderungen der InsO dienen zum einen der Harmonisierung des StaRUG mit dem Sanierungsinstrumentarium der Insolvenzordnung. Zum anderen sollen die Ergebnisse aus der Evaluation des Ende 2011 in Kraft getretenen Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) aufgegriffen werden.

Die wesentlichen Änderungen der Insolvenzordnung betreffen vor allem die Insolvenzantragsgründe und die geänderten Regelungen zur Insolvenzantragspflicht, die systematische Neufassung des Zahlungsverbotes in der Krise einschließlich der persönlichen Haftung der Geschäftsleiter sowie die Erhöhung der Zugangshürden für Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.

Weitere bedeutsame Änderungen der Insolvenzordnung betreffen unter anderem den Anspruch des Schuldners auf ein Vorgespräch, die Privilegierung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters als Masseverbindlichkeit sowie das Insolvenzplanverfahren.

Hochdruck Gesetzgebungsverfahren

Das SanInsFoG wurde im Eiltempo in Gesetzesform gegossen. Nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) am 18.09.2020 wurde bereits am 14.10.2020 der überarbeitete Regierungsentwurf vorgelegt. Am 25.11.2020 fand im Rechtsausschuss des Bundestages eine Expertenanhörung statt. Zwei Tage später, also am 27.11.2020, gab der Bundesrat seine Stellungnahme ab. Am 17.12.2020 wurde das Gesetz in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag beschlossen und am 29.12.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet, sodass das SanInsFoG schließlich am 01.01.2021 in Kraft treten konnte.

Diese kurze Zeitspannte zwischen der Vorlage des ersten Gesetzesentwurfs und der Gesetzesverkündung ist im Wesentlichen vor dem akuten Handlungsbedarf wegen der (weiteren) zu erwartenden erheblichen wirtschaftlichen Schäden aufgrund der COVID-19-Pandemie zu sehen.

Insolvenzantragsgründe – hilfreiche Klarstellungen

Bezüglich der Insolvenzantragsgründe gibt es entscheidende Neuregelungen zur drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und zur Überschuldung (§ 19 InsO).

Nach dem neu eingefügten § 18 Abs. 2 S. 2 InsO soll zur Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nunmehr „in aller Regel“ ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen sein. Für die Ermittlung der Fortführungsprognose bei der Prüfung des Insolvenzgrundes der Überschuldung sieht § 19 Abs. 1 S. 1 InsO nunmehr explizit einen Zeitraum von 12 Monaten vor. Bislang musste bei der Bestimmung des Prognosezeitraums auf die einschlägige Rechtsprechung zurückgreifen. Dabei landete man in der Regel bei einer Betrachtung des „laufenden und kommenden Geschäftsjahres“.

Diese Änderungen dienen auch dazu, das vorinsolvenzliche Verfahren stärker von der Insolvenz selbst abzugrenzen (sog. „Abstandsgebot“). Denn noch nicht zahlungsunfähige (§ 17 InsO) oder überschuldete (§ 19 InsO) Unternehmen sollen, sobald ihre Zahlungsunfähigkeit droht, Zugang zu einer frühzeitigen Sanierung nach dem StaRUG [vgl. Blog Beitrag vom 08.01.2021] erhalten.

Im Rahmen der Überschuldungsprüfung ist jedoch temporär zu beachten, dass nach § 4 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG) für das Jahr 2021 ein Zeitraum von vier Monaten als Prognosezeitraum zu berücksichtigen ist. Dies gilt jedoch nur, wenn die Überschuldung auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, was unter bestimmten Voraussetzungen vermutet wird [ vgl. Blog Beitrag vom 05.01.2021].

Insolvenzantragspflicht

Auch die haftungsträchtige und sogar strafbewehrte Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit hat eine wesentliche Änderung erfahren. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit ist der Insolvenzantrag – wie bisher auch – spätestes drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu stellen (§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO). Die Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung wurde dagegen von drei Wochen auf sechs Wochen verlängert (§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO). Die Zeiträume sollten jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn Aussicht besteht, innerhalb der jeweiligen Frist noch eine Sanierung herbeizuführen und damit den Insolvenzgrund entfallen zu lassen.

In diesem Zusammenhang ist die vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemnie eingeführte partielle Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gemäß § 1 COVInsAG zu beachten, die kürzlich bis zum 30.04.2021 verlängert wurde [vgl. Blog Beitrag vom 01.02.2021]. Es ist jedoch auch an dieser Stelle zu unterstreichen, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in jeden Einzelfall konkret zu prüfen ist.

Auszahlungsverbot und persönliche Haftung des Geschäftsleiters

Mit dem neuen § 15b InsO werden die bisher für die einzelnen Gesellschaftsformen separat geregelten Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter (§ 64 GmbHG a.F., § 92 Abs. 2 AktG a.F., §§ 130a a.F., 177a HGB a.F.) rechtsformneutral und einheitlich in der Insolvenzordnung geregelt und die vorgenannten spezialgesetzlichen Regelungen gestrichen.

Wie auch bisher sind die Geschäftsleiter der Gesellschaft grundsätzlich zur Erstattung von Zahlungen verpflichtet, die nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung geleistet wurden. Das Auszahlungsverbot gilt ebenso wie bislang nicht für Zahlungen, die mit die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 15b Abs. 1 S. 2 InsO).

Neu sind jedoch die gesetzliche Vermutungsregelungen in § 15b Abs. 2 und 3 InsO, welche ausdifferenzierte Regelungen enthalten, wann Zahlungen (nicht) mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Da diese Vermutungsregelungen teilweise von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen, sind diese Neuregelungen mit besonderer Sorgfalt zu betrachten, um unerwartete Haftungsrisiken zu vermeiden. Die Änderungen können aber zugleich auch einen höheren Gestaltungsspielraum in der Krise ermöglichen. Privilegiert sind gemäß § 15b Abs. 2 InsO Zahlungen,

  • die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, und
  • innerhalb der Frist zur Antragstellung nach § 15a InsO erfolgen,

solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben.

Auch Zahlungen nach Stellung des Insolvenzantrags bis zur Insolvenzeröffnung sind privilegiert, wenn sie mit Zustimmung des sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgen (§ 15b Abs. 2 S. 3 InsO).

Demgegenüber sind Zahlungen, die nach Ablauf der Antragsfrist gemäß § 15a InsO erfolgen, in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

Soweit die vorgenannten Privilegien nicht greifen, findet sich die Geschäftsleitung – wie auch unter den alten Regelungen – in einem Haftungskonstrukt wieder. Ein Novum dabei ist, dass § 15 Abs. 4 InsO zunächst eine Haftungsbegrenzung auf den der Gläubigerschaft entstandenen Schaden enthält. Damit dürfte endgültig geklärt sein, dass es sich bei der Haftung wegen Zahlungen nach Insolvenzreife um einen Schadensersatzanspruch handelt [vgl. Blog Beitrag vom 07.12.2020]. Allerdings setzt dies voraus, dass der Geschäftsleiter beweisen kann, dass der tatsächliche Schaden geringer ist als die Gesamthöhe der geleisteten Zahlungen.

(Vorläufige) Eigenverwaltung – Zugangsschwelle erhöht

Die Vorschriften zur (vorläufigen) Eigenverwaltung wurden systematisch neu gefasst und inhaltlich erheblich geändert. Insbesondere wurde der Zugang zur (vorläufigen) Eigenverwaltung deutlich erschwert und umgekehrt die Gründe für die Aufhebung der Eigenverwaltung ausgeweitet.

Das bisher in § 270b InsO a.F. normierte Schutzschirmverfahren findet sich jetzt in § 270d InsO. Damit bleibt die Möglichkeit eines Schutzschirmverfahren zur Vorbereitung einer Sanierung einschließlich des Vollstreckungsschutzes (§ 270d Abs. 3 InsO) erhalten.

Vorbereitung eines Verfahrens in Eigenverwaltung

Nach der bisherigen Rechtslage war die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung möglich, wenn der Schuldner die Eigenverwaltung beantragte und keine Nachteile für die Gläubiger drohten (§ 270 Abs. 2 InsO a.F.). Diese oft kritisierten (geringen) Anforderungen an die Eigenverwaltung sollen durch die Neuregelung der Vorschriften über die Eigenverwaltung deutlich angehoben werden.

§ 270a Abs. 1 InsO bestimmt nunmehr, dass der Schuldner seinem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung eine sog. Eigenverwaltungsplanung beizufügen hat, die kumulativ die fünf nachfolgend dargestellten Unterlagen umfassen muss:

  • Erforderlich ist ein Finanzplan für einen Zeitraum von sechs Monaten mit einer fundierten Darstellung der Finanzierungsquellen, welche die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Verfahrens in diesem Zeitraum sicherstellen sollen.
  • Weiterhin notwendig ist ein Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, das eine Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise enthält, das Ziel der Eigenverwaltung festlegt und Maßnahmen zur Erreichung des Ziels beschreibt.
  • Es muss eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, den am Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen erstellt werden.
  • Ferner muss der Schuldner die Vorkehrungen darstellen, die er zur Erfüllung seiner insolvenzrechtlichen Pflichten getroffen hat.
  • Schließlich muss die Eigenverwaltungsplanung eine begründete Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten enthalten, die im Rahmen der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren und im Verhältnis zur Insolvenzmasse voraussichtlich anfallen werden.

Die Neuregelungen sind sicherlich sinnvoll um der teilweise vorherrschenden Skepsis für Eigenverwaltungsverfahren zu begegnen. Diejenigen Praktiker, die bereits in der Vergangenheit professionell Unternehmen in Eigenverwaltungsverfahren begleitet haben, werden in den Änderungen jedoch keine wirklichen Neuheiten gegenüber der geübten Praxis vorfinden. Eine professionell vorbereite Eigenverwaltung hat die neu aufgenommenen Aspekte bereits in der Vergangenheit berücksichtigt.

Weitere zentrale Änderungen der InsO

Anspruch des Schuldners auf ein Vorgespräch mit dem Gericht

Schon vor der Einführung des neuen § 10a InsO konnte die Durchführung von Vorgesprächen mit dem Insolvenzgericht zur erfolgreichen Durchführung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung beitragen. Das Ziel von Vorgesprächen besteht insbesondere darin, Bedenken gegen die Eigenverwaltung vorzubeugen und dem Insolvenzgericht das Sanierungskonzept zu erläutern.

Nunmehr gewährt § 10a Abs. 1 InsO Schuldnern, die bestimmte Größenkriterien erfüllen, einen Anspruch auf ein solches Vorgespräch. Gegenstand des Vorgesprächs können sämtliche für das Verfahren relevanten Gegenstände sein, wozu insbesondere die Eigenverwaltung, die Eigenverwaltungsplanung, die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters, etwaige weitere Sicherungsanordnungen und die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zählen.

Privilegierung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten

Weitere Klarheit wird bei dem bislang umstrittenen Thema der Umsatzsteuer im vorläufigen Insolvenzverfahren geschaffen. Gemäß § 55 Abs. 4 S. 1 InsO werden Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeit privilegiert und sind somit nach § 53 InsO vorab zu befriedigen. Gleiches gilt für sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern, die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und die Lohnsteuer (§ 55 Abs. 4 S. 2 InsO).

Insolvenzplanverfahren

Auch das in §§ 217ff. InsO normierte Insolvenzplanverfahren hat im Zuge des SanInsFoG einige Änderungen erfahren.

Neu ist hier die Möglichkeit, gruppeninterne Drittsicherheiten in den Insolvenzplan mit einzubeziehen. Diese Möglichkeit wurde auch für den Restrukturierungsplan nach dem StaRUG geschaffen und erleichtert Sanierungsverfahren innerhalb eines Konzerns. Durch die Regelungen können weitere Gesellschaften innerhalb des Konzerns vor einer Inanspruchnahme aus einer Sicherheit geschont und damit entlastet werden.

Im darstellenden Teil des Insolvenzplans ist die Vornahme einer Vergleichsrechnung nunmehr obligatorisch, § 220 Abs. 2 InsO. Diese Vergleichsrechnung hat die Auswirkungen des Plans auf die voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger darzustellen. Ist im Plan die Fortführung des Unternehmens vorgesehen, ist Vergleichsmaßstab die Fortführung des Unternehmens im Regelverfahren (§ 220 Abs. 2 S. 3 InsO).

Übergangsvorschrift

Bei der Anwendung der geänderten Insolvenzordnung ist zu beachten, dass für Insolvenzverfahren, deren Eröffnung vor dem 01.01.2021 beantragt wurde, die bis dahin geltenden Vorschriften anzuwenden sind, vgl. Art. 103m Insolvenzordnung-Einführungsgesetz. Entscheidend ist dabei die Stellung des Insolvenzantrages, nicht das Datum der Verfahrenseröffnung.

Fazit

Im Zuge des SanInsFOG hat die Insolvenzordnung einen bunten Strauß von Änderungen erfahren. Begrüßenswert ist dabei zunächst die einheitliche Regelung des Auszahlungsverbotes in der Insolvenzordnung sowie die gesetzgeberische Klarstellung, dass es sich bei dem Erstattungsanspruch um einen Schadensersatzanspruch handelt. Auch der nunmehr normierte Anspruch auf ein Vorgespräch zur Vorbereitung von gerichtlichen Sanierungsverfahren ist eine zentrale Änderung.

Wie sich dagegen die Änderungen des Eigenverwaltungsverfahrens auf die Praxis auswirken, ist derzeit kaum absehbar. Als sicher dürfte gelten, dass die Durchführung des Eigenverwaltungsverfahrens aufwendiger werden wird – allein schon aufgrund des erheblich aufwändigeren Eigenverwaltungsantrags. Zudem beinhalten die Vorschriften zur Eigenverwaltung zahlreiche Ausnahmen und Rückausnahmen, sodass Unstimmigkeiten vorprogrammiert sind. Ein erhöhter Beratungsbedarf erscheint daher naheliegend.

Letzten Endes wird es aber darauf ankommen, das ausdifferenzierte Instrumentarium in Form der vorinsolvenzlichen Sanierungsinstrumente des StaRUG einerseits sowie des Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahrens andererseits sinnvoll auf den Einzelfall anzuwenden und die jeweiligen Vorteile optimal zu nutzen.

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